Brann 01 - Seelentrinkerin
und Harra würden sich irgendwie an Maratullik gewöhnen müssen, bis sein Interesse nachließ. Oder ... Aber mit derlei Fragen konnten sie sich später beschäftigen.
Vielleicht ist er gar nicht so versessen darauf, uns bei sich zu haben, vielleicht kommen wir ihm nur gerade recht, um den Kaiser davon abzulenken, daß der für seinen Schutz und die Sicherheit verantwortliche Beamte die Flucht einer Schar Sklaven eingestehen mußte, überlegte Taguiloa. Es kann sein, daß die Truppe nichts anderes ist als ein Spielzeug, das er dem Kaiser vor der Nase baumeln läßt. Brann, habe ich dir außer allem anderen auch das zu verdanken? Er warf das Pergament auf den Tisch, auf dem es sich einrollte. Dann nahm er in einer Ecke der Kammer Platz, um dort die Atemübungen und die Meditation zu betreiben, deren er bedurfte, wenn er innerlich ruhig genug und dazu imstande sein wollte, unter den jetzigen Umständen richtig zu handeln.
An einem anderen Spätnachmittag. Die Truppe biegt auf die Prunkstraße am See ein, fährt diesmal durchs Tor von Maratulliks Meslak. Gardisten begleiten sie vorn, Gardisten eskortieren sie hinten, der Sklave reitet auf seinem eigenwilligen weißen Maultier voraus. Die Wasser des Sees schimmern hell und hart wie saphirblaue Scherben, vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne heiß herab. Man reitet an Sklaven vorüber, die sich noch auf späten Botengängen befinden, sich an die Mauern ducken, der Kolonne beim Vorbeireiten zuschauen. Die Luft scheint Taguiloas Kehle zu versengen, und es schnürt ihm vor Schreck die Gurgel ein, als plötzlich der Cynamacamal rumpelt und eine Rauchwolke ausstößt. Unter Taguiloa und rings um ihn knirscht es in den Mauern, den marmornen Pflastersteinen der Prachtstraße. Kein Wind geht, dieser Tag, der sich dem Ende zuneigt, ist so still, daß jedes Geräusch ihm in den Ohren klingt wie eine Maulschelle. Unheimlich still ist es, nachdem das Rumoren aus dem Innern des Bergs verstummt ist. Böse Ahnungen sitzen in Taguiloas Bauch wie Magengeschwüre. Er versucht sich einzureden, das sei nur die übliche Aufregung vor Veranstaltungen. Heute soll die wohl bedeutsamste Vorstellung seines Lebens stattfinden, nicht weil er vor dem Kaiser tanzen darf — er gibt sich in bezug auf das Kunstverständnis des Kaisers keinen Selbsttäuschungen hin, und zudem hegt er, wie alle Hina, gegen die Temueng eine eingefleischte Abneigung, vor allem Temueng von hoher Stellung —, vielmehr ist sie so wichtig, weil sie über den restlichen Verlauf seines Lebens entscheiden wird. Er sitzt auf dem Kutschbock des Kastenwagens, hat die Zügel lose zwischen den Fingern, läßt das braune Zugpferdchen die Gangart bestimmen, erzwungene Gleichmut beherrscht sein Gemüt. Nichts wird mißlingen, sagt er sich, kein Unheil wird geschehen, im Haus der Linken Hand ist trotz der vielen anwesenden Lümmel nichts schiefgegangen, um so weniger wird etwas Unangenehmes sich ergeben, wenn wir am Hof vor Leuten mit besserem Benehmen auftreten. Brann reitet dem Braunen voraus, hinter sich Jaril auf dem Pferd, neben ihr läuft die Yaril-Hündin; Branns Reittier verhält sich störrisch, wirft den Schädel hin und her, zieht die schwarzen Lippen zurück, bleckt die langen gelben Zähne. Neben dem Wagen reitet Harra, ihre Miene spiegelt innere Anspannung wider. Auch dessen Kenntnisnahme lehnt Taguiloa ab, er will diese Anspannung nicht sehen, davon nichts wissen, er faßt den Vorsatz, Harra kein zweites Mal anzuschauen. Linjijan sitzt ausnahmsweise einmal aufrecht, bewegt die Finger über seine Übungsflöte, rutscht bisweilen auf dem Kutschbock da- oder dorthin. Sogar der sonst stets so versonnene Linjijan zeigt sich unruhig und mißbehaglich. Wieso? Aber Taguiloa mag daran, mag an Linjijan nicht denken.
Man öffnet ihnen die Tore zum Palast.
Ein Unterkämmerer geleitet sie in einen Vorraum des Audienzsaals — in diesem Saal sollten sie auftreten —, ließ sie allein, nachdem er Taguiloa mitgeteilt hatte, daß der Saal wie erbeten hergerichtet wurde: Der Fußboden mußte mit Matten gepolstert werden, die Musikanten brauchten niedrige Sitze, ein kleinerer Winkel des Saals sollte mit Wandschirmen abgeteilt werden, hinter die sich alle, die gerade nicht auftraten, zurückziehen konnten.
Im Vorraum hatte man bereits Wandschirme aufgestellt, sie bildeten am einen Ende der langen schmalen Räumlichkeit eine Anzahl kleinerer Kammern zum Zwecke des Umkleidens. An einer Wand standen auf flachen Kohlenbecken zwei
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