Brann 01 - Seelentrinkerin
Yarils Verlegenheit Verständnis zu hegen. »Wir haben dich verändert«, ergänzte Yaril, blieb bei ihrer Saumseligkeit, obwohl sie Branns Ungeduld bemerken mußte. »Wir mußten's tun, wir behaupten nicht, es sei recht oder eine gute Sache gewesen, doch wir glaubten, nicht anders handeln zu können. Du warst das erste denkende Wesen, dem wir in dieser Wirklichkeit begegneten. Wir hatten nicht die Absicht, sie aufzusuchen. Zufällig sind wir — durchs Feuer — in deine Wirklichkeit geboren worden, in deine Welt. Ich weiß, was ich sage, klingt wenig begreiflich, doch hör zu, es besteht keine Veranlassung zur Eile, wir können sie ohne weiteres einholen. Hör zu, Brann, du mußt's verstehen, oder du wirst dich ... mit dem, in das wir dich verwandelt haben, nicht zurechtfinden. Und wir vermögen's nicht rückgängig zu machen. Wir drei sind miteinander verschmolzen, Brann, zu einem neuen Ganzen geworden, zu dritt sind wir eins. Wir selbst sind im Herzen des Feuers gewandelt worden, Brann. Auch unter unseresgleichen waren wir Kinder, unvollkommen und formbar. Wie würdest du dich fühlen, Brann, wachtest du eines Morgens auf, und dein Mund wäre fort, du könntest nur Suppe durch die Nase schlürfen und hättest keine Hände mehr? Wie wäre dir zumute, schrumpfte dir aus Hunger der Magen, derweil's rundherum genug Nahrung hat, die du jedoch nicht anzurühren vermöchtest? Und dann, wenn etwas in dir, von dem du weißt, daß du ihm trauen kannst, dir sagt: >Diese Person kann dich ernähren, wenn du sie in dieser und jener Hinsicht veränderst, was tätest du?« Erneut begannen Yarils Umrisse zu schimmern, ihre kristallgleichen Augen leuchteten im Morgenlicht, erflehten Branns Verständnis.
Brann bewegte die Lippen. Zunächst kam kein Laut aus ihrem Mund. »Seid ihr Dämonen?« brachte sie zu guter Letzt hervor.
»Nein. Nein. Wir entstammen bloß einem vollständig andersgearteten Volk. Nimm einfach hin, daß wir sind, wie wir uns genannt haben: Bergkinder. Wir sind wirklich und wahrhaftig aus dem Berg geboren worden. Wo wir ... Ach, sagen wir, wo unser Dasein seinen Anfang nahm, nährten wir uns von so etwas wie Sonnenschein und ... ahm ... der Glut im Innern der Dinge. Dazu jedoch sind wir nicht länger fähig.«
Brann preßte eine Hand auf den Bauch, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, schluckte. »Ihr ... ihr wollt mich auffressen?«
»Nein, nein! Du hörst uns nicht richtig zu. Du mußt darüber genau Bescheid wissen. Vielleicht wär's besser, wir zeigen's dir.« Nochmals wechselte Yaril mit ihrem Bruder einen langen Blick; wiederum nickte sie und wandte sich an Brann. »Warte hier, Brombeer. Wir werden ein Tier aus den Bäumen zu dir treiben, nimm's in die Hände und trink.«
Es schauderte Brann. »Sein Blut?«
»Nein. Sein Leben. Dazu bedarfs nur des Willens, es zu nehmen.« Yaril erhob sich. »Du wirst verstehen, was ich meine, sobald du das Tier berührst, dir ist bereits verinnerlicht, auf was es ankommt.« Sie nahm die Gestalt eines großen Jagdhunds an, trottete hinüber zum Wald; auch Jaril verwandelte sich in einen solchen Hund und folgte ihr.
Brann fühlte sich entsetzt und kalt bis ins Mark, während sie auf dem Kliff saß und wartete, daran dachte, was sie tun sollte. Sie hörte die Hunde irgendwo in der Ferne bellen, dann sich immer mehr nähern, schließlich hetzten sie ein großes junges Coyno über den Fels auf sie zu. Es rannte in seiner Panik blindlings in Branns Richtung und wäre, hätte sie es nicht abgefangen, über die Felskante gestürzt. Ohne nachzudenken, indem sie vollkommen aus ihrem neuen Trieb heraus handelte, packte sie schneller zu, als sie es für möglich gehalten hätte, hielt den sehnigen kräftigen Körper des Tiers mit den Händen fest und verfuhr, wie Yaril es ihr empfohlen hatte, bot den Willen auf, ihm das Leben zu nehmen.
Ein Strom von Wärme floß in sie über, erwärmte ihre Mitte auf eine Weise, die sie als beunruhigend empfand, obwohl sie nicht in Worte zu fassen vermocht hätte, wieso. Binnen weniger Augenblicke erschlaffte ihr das Coyno zwischen den Händen. Sie schaute es an, hätte sich am liebsten geekelt, warf es das Kliff hinab. Dann erinnerte sie sich daran, wie der Krieger Ruan auf den Haufen toter Kinder geschmissen hatte, und bereute ihr Verhalten. Sie legte die Hände vors Gesicht, aber ihr kamen keine Tränen. Über den Felsboden tappte der männliche Jagdhund zu ihr, stieß ihr mit der kalten Nase an den Arm. Gewohnheitsmäßig streichelte
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