Brann 01 - Seelentrinkerin
sie döste, bis ein Zischen aus der Richtung des Kochfeuers bezeugte, daß das Teewasser siedete. Sie kleidete sich wieder an, verspürte gelinde Neugier bezüglich der Frage, wann die Kinder zurückkehren mochten, doch die Neugierde verging, während sie den Tee zubereitete.
Mit einer heißen Trinkschale in den Händen ließ sie sich am Feuer nieder, senkte das Gesicht in den wohlriechenden Dampf, der vom Tee aufquoll. Er war ihres Vaters Werk, dieser Becher, er zeichnete sich durch die hochgradige Güte aus, die man an allem feststellen konnte, was ihr Vater anfertigte. Brann schlürfte Tee, lauschte aufs Gebell der Hunde, die irgendwo im Wald jagten, wünschte sich, ihr Vater säße hier mit ihr neben dem Eschenstamm. Sie trank nochmals, versuchte den Kloß hinunterzuspülen, der ihr in der Kehle zu stecken schien, die Schrecknisse zu verdrängen, sich statt dessen an schöne Zeiten zu erinnern. Wie ihr Vater sie, damals seine Jüngste, zum erstenmal mit in seine
Werkstatt nahm, in der es nach trockenem und feuchtem Ton roch, nach Pulvern und Mischungen von Glasur, Zedernschränken und Eichentischen, in der ständig Töpferscheiben surrten, das Krachen der Tritte ertönte, die die Scheiben in Bewegung hielten, Immers Summen und das gekonnte Pfeifen eines anderen Lehrlings zu hören waren, dann und wann auch ein Scherz, Gelächter und Rufe — Gerüche und Geräusche, die sich Brann so nachhaltig eingeprägt hatten wie das Pochen und Knacken des Webstuhls ihrer Mutter, deren tonloser, vernuschelter Singsang. Schöne Zeiten. Wie sie stets gemeinsam mit dem alten Ohm Eornis Geburtstag gefeiert hatte, er sie mit Kuchen vollstopfte und ihr Apfelwein reichte, ihr die spannenden, unheimlichen Geschichten erzählte, die sie so gern anhörte. Der rüstige Greis hätte wohl noch ein Dutzend Jahre länger leben können. Jeder im Tal war dabei gewesen, aus Anlaß seines bevorstehenden Hundertsten etwas Besonderes für ihn zu machen. Brann hatte ihm eine Tuschezeichnung eines Mondfisch-Schnäppers mit im Zank wüst aufgerissenem Schnabel gemalt. Ihr Vater hatte, um ein Geschenk herzustellen, zwei Jahre gebraucht: Eine Das'n vuor-Kanne und einhundert Das'n vuor-Trinkbecher, einen für jedes Lebensjahr des Alten. Kanne um Kanne zerbrach, Becher um Becher zerschlug er, bis das Gefertigte ihn befriedigte. Für Branns Begriffe hatten die meisten ganz ordentlich ausgesehen, doch ihr Vater zeigte ihr die Mängel, verhalf ihr zu einem Blick für Unvollkommenheiten, ließ sie sie immer wieder betrachten und befühlen, bewahrte mit ihr Geduld, bis sie verstand, wovon er redete. Nachdem er die letzten Becher aus dem Brennofen genommen hatte, schlug er drei davon in Stücke, aber den vierten putzte er sorgsam und gab ihn Brann behutsam in die Hände. Tief und tiefer schaute sie in den schwarzen Glanz, der Licht zu trinken schien, erfreute sich an der Form, die eine Ebenmäßigkeit hatte wie die Galaradeiche, oder ein Ebenmaß wie der Yongala-Tanz, wenn Slya von ihr Besitz ergriff, eine Art von Richtigkeit, die man im Innersten flüstern hören konnte. Als würde in ihr ein Licht entfacht, erkannte sie mit einem Mal, wieso ihr Vater den Wert seiner Arbeiten so rasch und sicher zu bestimmen vermochte. Leuchten und Gewisper erfüllten sie, ihr war, als müsse sie ihre Zehen um irgend etwas haken, um nicht einfach davonzuschweben. Von diesem Augenblick an stand die Wahl ihrer Berufung fest. Mehr als alles andere in der Welt wollte sie eines Tages etwas machen, das so vollkommen war wie dieser Becher in ihren Händen. Sie reichte ihn ihrem Vater zurück und seufzte. Er bettete ihn umsichtig ins seidene Polster, dann hob er sie hoch, schwang sie empor, drehte sich mit ihr immer, immer wieder im Kreis, lachte voller Stolz, sein Geist war nun, da er das Werk endlich vollbracht hatte, von aller Anspannung befreit, er staunte selbst bis an den Rand der Hingerissenheit darüber, was seine Hände geschaffen hatten, frohlockte über Branns hinsichtlich ihrer Berufung gefällte Entscheidung. Vielleicht würde er niemals mehr ein so herrliches Teegeschirr machen, und irgendwie fügte es sich vortrefflich, daß seine Tochter es mit einem Entschluß fürs Leben auszeichnete, ein noch erfreulicherer Umstand als die Tatsache, daß er sein großartigstes Werk nicht für Gold, sondern aus Liebe und für einen feierlichen Anlaß zustande gebracht hatte.
Brann füllte die Trinkschale nach, verbrannte sich am Tee die Zunge, verkniff die Augen, um Tränen zu
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