Brann 01 - Seelentrinkerin
ihren Unmut hätte anmerken lassen. Mit verhohlener Erheiterung sah sie zu, wie der Temueng (im Flüsterton nannten sie ihn >Schleimschneck<) Sammangs Kajüte mit der gleichen kleinlichen Gründlichkeit durchsuchte; immer wieder latschten die Männer an der offenen Tür vorbei, belustigten sich über Sammangs Verärgerung. Mühevoll bezähmte er seine Zunge, gab dem Haarigen Jimm einen Wink, damit er dem Lotsen einen Stuhl auf Deck stellte. Und nachdem der Lotse dem Haarigen Jimm hinausgefolgt war, säumte Sammang noch für ein Augenblickchen, grinste bei sich, während er eine große Seemannskiste anschaute, die der Lotse scheinbar nicht gesehen, nicht beachtet hatte.
Sobald Sammang es einrichten konnte, ließ er den Lotsen sitzen, die Signalflaggen auf den Knien, hauptsächlich jedoch damit beschäftigt, sich die Sinne mit einem Schlauch roten Darra-Weins zu umnachten. Brann kauerte auf Sammangs Bett, zu ihren Seiten die beiden Nichtkinder. Ein Flimmern umgab sie, ein Wabern einer Kraft, die ihr innewohnte. »Wir haben's so gut wie geschafft, der Lotse betrinkt sich an Deck, gleich sind wir auf See, Jung Brann, aber bleib mucksmäuschenstill, bis wir an den Brandbooten vorüber sind!« Sammang senkte den Blick auf die vollen Brüste, die unter der dicken Seide der Bluse zugleich mit dem Schwanken des Schiffs schaukelten, seufzte auf, als er sah, wie sich die Brustwarzen erhärteten.
Brann lächelte. »Elf Jahre«, sagte sie. »Allerdings werde ich von Stunde zu Stunde älter.«
»Tscha, so ergeht's uns allen.«
Der blonde Knabe hatte das Köpfchen in ihren Schoß gebettet, das Mädchen hatte sich neben ihr zusammengerollt, dicht an sie geschmiegt, beide lagen schlaff da, schlummerten fest. Mit geschlossenen Augen wirkten sie stärker wie echte Kinder. »Sie haben in den vergangenen paar Nächten ungemein viel zu tun gehabt«, erklärte Brann. »Deshalb sind sie so ausgelaugt.«
Ausgelaugt. Auch das war etwas, das er lieber gar nicht so bald erläutert haben wollte. »Wenn wir den Lotsen vom Hals haben, hat es keinen Sinn mehr, sich länger unter Deck zu verstecken. Du kannst meinen Männern vertrauen, sie sind 'n anständiger Haufen.« Sammang runzelte die Stirn. »Nein, warte ... Nein, bleib unter Deck, sobald wir den geldgierigen Eunuchen los sind, werde ich 'n Wörtchen an sie richten. Neigst du zur Seekrankheit?«
»Keine Ahnung. Ich bin noch nie auf so 'm Kahn gewesen.«
»Buatorrangs Faust, Weib, Schiff, nicht Kahn, Schiff!« Sammang langte unters Bett, zog einen Kübel aus Segeltuch hervor. »Spei da hinein, sollt's unvermeidlich sein.« Er sah die schlafenden Kinder an. »Das gilt auch für sie.« Er stapfte zur Tür, drehte sich dort noch einmal um. »Ich werde euch nicht länger unter Deck lassen, als es sein muß. Meine Mannschaft ... äh ... besteht nicht aus zarten Pflänzchen, aber mach dir nichts aus der Art, wie die Kerls reden.«
»Hör auf mit der Zimperlichkeit, Schiffsherr! Ich nenne ein bißchen Verstand mein eigen, ist dir das noch nicht aufgefallen?«
Daraufhin insgesamt in besserer Stimmung, begab Sammang sich wieder an Deck, stellte sich erneut an die Reling, schaute zu, wie der Haarige Jimm die Meermaid zwischen den im Hafen liegenden Schiffen zur Ausfahrt steuerte. Der Lotse schenkte allem, was rings um ihn geschah, kaum Aufmerksamkeit. Lotse war er lediglich in der Beziehung, wie die Temueng seine Aufgabe auffaßten; er war nicht da, um Schiffe durch etwaige natürliche Fährnisse der Hafengewässer zu lotsen, sondern um sie an den von Menschen geschaffenen, viel gefährlicheren Hindernissen vorbeizugeleiten. Der Tag war herrlich, lebhafter Gegenwind blies, aber die Flußströmung sowie die Flut reichten aus, um die Meermaid vor Topp und Takel in die Richtung der steinernen Wachtürme beiderseits der Ausfahrt zu befördern. Der Wind umpfiff Sammang, während das Schiff über den Stag ging, nach und nach roch man den Salzgeruch des Meers deutlicher als den Hafenschlamm und den Unrat der Stadt, auf der schimmerndblauen Fläche der See wurden scharfe Wellenkämme sichtbar, weiße Gischt tanzte darauf, an diesem Tag gefiel Sammang einfach alles, die Farben genauso wie die Geräusche, der Mischmasch der Gerüche und Düfte, die umfangreiche Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, die sich ihm nun auftaten.
Als das Schiff sich den beiden wuchtigen Türmen näherte, die an der engen Hafenausfahrt emporragten, stemmte der Lotse sich mühsam vom Stuhl hoch, setzte sich jedoch sofort wieder
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