Brann 01 - Seelentrinkerin
Tavisteen war ich elf, aber seither ist manches geschehen, wodurch ich gealtert bin. Inzwischen bin ich vielleicht fünfzehn oder siebzehn.« Ihr Zeigefinger strich über seinen harten Armmuskel. »Du hast mir dabei geholfen, Sammang, du hast mich vieles gelehrt, noch ehe du mich angerührt hast.«
»Laß das!« Er entzog ihr den Arm, starrte aufs Wasser, das sich vor dem Schiff weithin erstreckte, ohne es zu sehen. »Warum hast du das getan?«
»Ich weiß es nicht genau. Aus mancherlei Gründen. Ich brauchte Trost. Ich mußte jemanden anfassen, der etwas für mich bedeutete, den ich nicht bloß zum Heilen oder Töten berührte.« Andeutungsweise hob sie die Schultern. »Aus Neugier.«
»Du warst keine Jungfrau.« Sammangs mit Widerwillen vermischte Verwirrung erhöhte noch seinen Zorn.
»Ein Temueng-Zensor hat mich vergewaltigt. Er ist tot.« Langsam ließ sie die Hand an seinem Arm hinabgleiten; er spürte, daß sie es genoß, ihn zu befühlen, und biß die Zähne zusammen »Du wärst es jetzt auch«, sagte sie, »hätte ich's gewollt.«
Ein Schaudern durchrieselte Sammang: Furcht. Er zwang sich dazu, Brann anzuschauen. Ihre Miene drückte Traurigkeit aus, als wüßte sie, welche Wirkung ihre Bemerkung auf ihn ausübte, wie sie sein Verlangen ausmerzte. Sie hat es vorsätzlich gesagt, dachte er. Aus Mitleid mit mir. Er nahm einen Schritt Abstand von ihr, empfand nahezu Haß. Dann jedoch blickten ihn aus ihren großen grünen Augen Kind und Weib gleichzeitig an, und seine Erbitterung schwand.
Vorsichtig beugte sich Brann, als gälte ihre Aufmerksamkeit bereits anderen Dingen, übers Schanzkleid, beobachtete die Wogen, die vom Bug zur Seite schäumten. »Die See sieht anders aus«, sagte sie. »Wieso?«
»Inwiefern anders?«
»Vielleicht in der Farbe oder in der Weise, wie das Meer sich bewegt. Ich kann's nicht sagen. Es ist eben anders.«
Sammang musterte sie, sah sich selbst wieder als Knabe, als Schiffsjunge, der Antworten auf ähnliche Fragen suchte. Er lehnte sich neben Brann, fing sie das zu lehren an, was er gelernt hatte.
Der folgende Tag war hell und klar, doch blies der Wind wechselhaft, flaute bisweilen völlig ab, so daß die Meermaid lediglich dahintrieb, ihre Segel von neuem durchhingen, die Besatzung wenig beansprucht wurde. Der Geist des Wetterkundigen setzte sich in der Takelage fest, zeterte auf die Männer ein, wodurch sich weder ihre Laune noch ihre Arbeitsleistung besserte. Spantenratt, der nicht nur Barde des Schiffs war, sondern auch der Geisterbeschwörer, hatte die anderen Geister schon verscheucht, aber der Wetterkundige blieb starrsinnig, zeigte sich voller Bosheit, war offenbar dazu entschlossen, den Leuten, die für seinen Tod die Verantwortung trugen, das Leben so übel wie überhaupt nur möglich zu erschweren. Er war ein ziemlich zerzauster Geist, zerfranste zusehends weiter, doch er hielt sich hartnäckig, trotzte Spantenratts Beschwörungsgesängen und heiligen Tänzen, der Ätzwirkung des Räucherwerks, dessen Qualm ihm der Jüngling zufächerte, und den Verwünschungen Sammangs sowie der übrigen Mannschaft. Yaril und Jaril schauten dem Geschehen mit äußerstem Interesse zu, bis es ihre Freunde zu zermürben begann, dann machten sie sich mit vereinten Kräften daran, den Geist aus den Masten zu verjagen, sausten als Lichtkugeln durch ihn hindurch, bis bloß noch zerfaserte Dunstfähnchen verblieben, die sich in einem neuen Anschwellen des Windes verflüchtigten.
Am zwölften Tag nach dem Auslaufen aus Tavisteen warf die Pandaysche Meermaid in der vielbesuchten Bucht des Inselhafens Silili Anker.
4. Mit Taguiloa dem Tänzer von Silili nach Andurya Durat
B RENNENDE K ERZEN IN BEIDEN H ÄNDEN , verfiel Taguiloa ins abschließende Kreiseln, wirbelte immerzu im Kreis um die eigene Achse, beendete den Tanz mit einem verwickelten Fußgetrappel auf den Korkmatten, die man auf den Fliesen des Sommergartens ausgelegt hatte, beide Arme hoch überm Kopf, die Kerzen brannten. Sein Tanz endete vor dem bemalten Sarg, er vollführte die vorgeschriebene tiefe Verbeugung, pustete die Kerzen aus, verneigte sich vor den Zuschauern, die ihm mit Fingerschnipsen Beifall zollten, stapfte steifbeinig, aber würdevoll ins Dunkel, überließ es Yarm, bei den Geisterzeugen an Münzen einzusammeln, was zu geben ihnen beliebte. Die Einnahmen konnten recht hoch werden. Die meisten Zeugen waren reiche alte Händler, mehr als nur halb betrunken, froh darüber, vom Ableben eines der Ihren abgelenkt
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