Brann 02 - Blaue Magie
Tals leben in Furcht vor dem Zauberer in der Zitadelle zu Silagamatys. Das ist die Stadt, die Jaril vorhin erwähnt hat, der einzige Ort in Cheonea, der groß genug ist, um Stadt genannt werden zu können, 'ne Hafenstadt an der Südküste. Sie äußert die Bitte, sich dort am siebzehnten Tag des Theriste mit ihr zu treffen. Mmm. Das ist ... ahm ... Wenn ich mich recht an den dort üblichen Kalender entsinne, ist das heute in siebenunddreißig Tagen ... Nein, gestern, es wird ja schon fast hell. Das Treffen soll in der Taverne >Zur Blauen Seejungfer< stattfinden. Sie will nach Anbruch der Dunkelheit dort hinkommen und die andere Hälfte der Marke mitbringen. Mehr mag sie aufgrund der Gefahr, daß der Brief >in seine Hände fällt<, über ihre Absichten nicht schreiben. Unter dem Wort seine ist ein dicker Tintenklecks. Es stimmt, Brann, so ein Versprechen hast du abgelegt.« Yaril schmunzelte. »Während du reichlich betrunken warst. Erinnerst du dich an das Fest, das Taguiloa fürs ganze Viertel veranstaltete, nachdem wir aus Andurya Durat zurückgekehrt waren?« Sie strich sich aschblondes Haar aus dem Gesicht. »Wirst du's halten?«
»Offenbar bleibt mir keine Wahl. Wie heißt er, der Zauberer?«
»Settsimaksimin.«
»Gegenwärtig hält er mich wohl noch für tot. Aber so wird's nicht lange bleiben.« Sie trank Tee, seufzte auf. »Und ich muß etwas anderes berücksichtigen. Ich hab's bisher vermieden, daran zu denken. Die Tigermenschen haben ihren Dolch tiefer als nur in mein Fleisch gestoßen. Ich wohne schon so lange in der hiesigen Gegend, wie's nur vertretbar ist. Immer mehr Leute neigen zu peinlichen Fragen in bezug darauf, was ich eigentlich bin.« Ihr Blick schweifte durchs Zimmer, verweilte auf Flächen, auf Kochgeräten, all den Gegenständen, die ihre Hände gespürt, gestreift, geschüttelt, gewaschen und gescheuert hatten, rund hundert Jahre lang; sie empfand sie wie Anhängsel ihres Körpers, und sie aufzugeben, wäre so ähnlich wie das Abhacken eines Arms.
»Du könntest zu einem örtlichen Schutzgeist werden«, sagte Jaril mit Heiterkeit in den Augen. »So wie der Alte auf dem Berg gegenüber der Sililier Bucht, weißt du noch?«
»Hm-hmm. Und was wärst dann du, 'n Gespenst, das bei 'nem Geist spukt?« Brann lächelte und schüttelte den Kopf. »Kann sein, daß es irgendwann einmal dazu kommt, aber noch fühle ich mich nicht bereit zur Göttlichkeit, nicht einmal zur Halbgöttlichkeit.«
»Was wird aus dem Haus?«
»Ich werd's wohl aufgeben müssen. Die Dinge, die ich behalten möchte, werde ich in den geheimen Keller schaffen, den ihr mir in die Erde gebrannt habt, und alles andere dem Wind und den Dieben überlassen.« Sie gähnte, trank den Becher leer und rieb mit dem Daumen daran. Er gehörte zu dem Das'n-vuor-Teegeschirr, das ihr Vater als eine der letzten Töpferarbeiten vollendet hatte, bevor die Temueng ihn und andere Arth Slyaner fortschleppten, weil sie fortan in den Sklavenwerkstätten des Kaisers schuften sollten. »Mmmm. Hat einer von euch auf dem Herflug ein Flußschiff in den Westen fahren sehen?«
»In Gofajiu legte gerade eins ab, du weißt, was das heißt: In zwei, drei Tagen wird's hier sein. Du hast wirklich vor, an Bord zu gehen?«
Ein andeutungsweises Lächeln umzuckte Branns Mund. »Ja und nein. Jaril, ich habe mich noch nicht endgültig entschieden.« Sie schob den Teebecher an einem Handgelenk entlang, das aus kaum mehr als Haut und Knochen bestand und nur noch halb so dick war wie gestern. »Ich sehe nicht mehr wie in den vergangenen Jahren aus.« Sie lachte. »Jung bin ich jetzt. Und kahlköpfig. Nicht wie die bekannte Töpferin. Ich kann unmöglich die Töpferin sein. Andererseits ...« Sie schnitt eine Grimasse. »... wird man sagen: Das ist doch die Einladestelle der Töpferin, aber was macht diese Frau da, wo ist denn die Töpferin? Auf einem Flußschiff ist es so gemütlich, wie man's aufm Fluß nur haben kann, also wär's weder für mich 'ne Anstrengung, noch für euch beide.« Sie setzte den Becher auf den Tisch, ließ sich zurücksinken, betrachtete das glänzende Schwarz der Teekanne und ihr von den Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, die mindestens zur Hälfte die Schönheit der Kanne ausmachten, verzerrtes Spiegelbild. »Ich weiß nicht recht ... Sicherlich, ich würde gerne das Flußschiff nehmen, aber ...« Sie stieß einen Seufzer aus. »Der Wasserstand ist niedrig, der Sommer war heiß und trocken, und die Flußstrecke ist nicht ungefährlich
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