Brann 02 - Blaue Magie
... Mit dem Ruderboot bin ich noch nie so weit gefahren, aber ...« Sie seufzte noch einmal. »Ach, Slyas Zähne, ich denke zuviel, die Töpferin ist tot, also soll sie tot bleiben; laßt uns offene Fragen vermeiden, wie sie aufkämen, wenn fremde Weiber in der Umgebung gesehen werden. Mein Vater hat immer gesagt, der schwere Weg sei der rechte Weg, wenn man ihn beschreitet, muß man sich nämlich bewußt mit dem befassen, was man macht, man läßt sich nicht treiben, ohne zu wissen, was wird.« Der Seufzer, den sie diesmal ausstieß, war langgedehnt und klang nach Müdigkeit. »Wir nehmen das Flußschiff nicht, sondern fahren mit dem Ruderboot und hoffen, daß Tungjii auf uns achtgibt.« Sie setzte sich auf. »Ich bin zu müde zum Arbeiten und zu unruhig zum Schlafen. Wahrscheinlich hätte ich den Tee nicht trinken sollen. Na ja, wir können ohnehin morgen noch nicht aufbrechen, es muß zuviel vorbereitet werden.« Sie gähnte, schenkte sich nochmals Tee nach. »So. Erzählt mir was über Cheonea. Habt ihr, während ihr dort gewesen seid, auch das Owlintal aufgesucht?«
Am dritten Tag schwamm Branns Ruderboot nach Sonnenuntergang in Jade-Halimm in den Hafen. Sie suchte sich den Weg durch einen von Fackeln erhellten Irrgarten schwimmenden Nachtlebens, von Vergnügungsschiffen mit Kurtisanen und weniger teuren Tänzerinnen (letztere traten in der Waagerechten ebenso wie der Lotrechten auf), Spielhöllen-Booten und sonstigen Angeboten jeder Art von Zerstreuung oder Fleischeslust, wie fremde Händler und Seeleute sie begehren mochten, abgestuft nach der Schwere ihrer Geldbörse. Die wohlhabenderen Reisenden blieben davon unbehelligt; sie gaben sich in vornehmeren Einrichtungen an Land ihren Genüssen hin. Zahlreiche Hafenbarken des Jade-Königs kreuzten in den Gewässern des Hafens, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, daß niemand die reichen Gäste der Stadt belästigte. Zu schäbig, um die Aufmerksamkeit der Hafenwache oder der Ausrufer zu erregen, zu beschäftigt mit dem Rudern, als daß sie von den Vorgängen ringsum viel zur Kenntnis genommen hätte, durchquerte Brann das Gewirr ohne Zwischenfälle oder Mißgeschicke und legte an einem Landungssteg bei einem Gesangshaus an; ihr kleines, altes Boot fiel unter vielen anderen Booten nicht weiter auf. Die Flut hatte eingesetzt, kam in den Hafen, doch der Steg war hoch, die untere Hälfte der Leiter schlüpfrig von Seemoos, fauligem Tang und den Ausscheidungen der Lingamschnecken, die sich davon ernährten, und der Weeshaschnecken, die darin hausten. Sobald sie auf trockenem Holz stand, putzte sie sich die Hände an der Hose ab, was deren Aussehen kaum noch verschlimmerte.
Sie verharrte am Rande des Landungsstegs, schaute zum Boot hinunter und empfand eine gewisse Schwermut. Es war das letzte Überbleibsel ihres Daseins als Töpferin von Shaynamoshu. Brann zauderte, vom abendlichen Lärm des Hafens umwogt, schwelgte in Erinnerungen ... Ein Lichtkegel fällt durch Herbstlaub, durchzogen vom herben Duft bis kurz vor dem Verfall herangereiften Lebens, der letzte Brennvorgang jenes Jahrs, des Jahrs ... Welches Jahr war es gewesen? Nein, sie vermochte sich jetzt nicht darauf zu besinnen, in irgendeinem Jahr war es gewesen, es hatte sich ihrem Gedächtnis als Anhäufung von Bildern und Gerüchen sowie eines tiefempfundenen Gefühls der Freude eingeprägt, von dem sie nicht wußte, weshalb sie es empfand oder worauf es beruhte ... Mit beladenem Handkarren zieht sie den Weg entlang, die Kinder toben und tollen in Ottergestalt dahin ... Ein anderes Mal: Ihr Werk von Tungjii gesegnet, die Glasur schillert wie das Flirren eines frommen Schleiertanzes, Farbe in Farbe geflossen, der Glanz ähnelt einem Opal, nur verhaltener, er umfaßt feine Abstufungen von erdbraunen und lehmgelben Tönungen, am großartigsten aber ist, wie es sich anfühlt, Gewicht und Ausgewogenheit, mit der die Stücke in der hohlen Hand ruhen; ihre Begeisterung gleicht beinahe dem Triumph, den ihr Vater empfand, als er die letzten Das'n-vuor-Trinkbecher aus dem Brennofen am Tincreal nahm und die Vollkommenheit dreier von ihnen erblickte ... Ein anderes Mal Schnee, Erde weiß, Himmel weiß, die Stille dazwischen weiter und tiefer als beide zusammengenommen.
Der Wind, der landeinwärts wehte, zupfte an Branns Ärmeln, schlug ihr die Zipfel des Kopftuchs um die Ohren. Sie schob einen Finger unter das Tuch, spürte kurze Haarstoppeln. Slya sei Dank, das Haar wuchs rasch nach. Sie knüpfte
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