Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Schnüre zu einem sauberen Knoten, den sie zwischen die Seitenwand der Kassette und den Beutel stopfte. Danach öffnete sie den zweiten Beutel. Er enthielt Silbermünzen: Takks.
»Fünfzig«, sagte Brann. »Sie sind für dich ganz allein. Eine Frau soll immer eigenes Geld haben, Carup. Es gibt ihr die Gewähr, sich aus eigener Kraft durchschlagen zu können, wenn's einmal sein muß. Was du nicht verbrauchst, vererbe deinen Töchtern. Erklär ihnen, was ich gerade dir erkärt habe. Es ist eine Art von Treuhandgut, Carup Kalan.«
»Ich höre und gehorche, Jantria Bar Ana.« Carup verstaute die Takks wieder in der Kassette und nahm die Geldbörse zur Hand, öffnete sie; sie war voller abgeschabter Dugnas.
»Einhundert Dugnas, Carup, damit du dir Kleidung kaufen, einen Leibwächter mieten und nach Hause reisen kannst.«
»Ich möchte nicht nach Hause.« Die Äußerungen brachen mit überstürzter Schnelligkeit aus Carup hervor. »Mein Vater würde mir die Mitgift einfach abnehmen und an meine Brüder verteilen. Mit dem Geld, das meine Mutter verdiente, hat er's immer so gemacht.«
»Ihr Götter! Gelingt denn nichts mehr?! Ich kann dich unmöglich hier zurücklassen. Ehe ich eine Stunde lang fort wäre, fielen die Geier über dich her.«
»Nimm mich mit, Jantria! Ich werde dir dienen. Du hast gesagt, bisher hätte ich dir gut gedient. Ich werde auch der Gottheit ohne Namen zu Diensten sein können.«
Brann setzte sich an den Ofen, lehnte den Rücken gegen die rauhen Ziegel; die Wärme drang ihr durch die Bluse in die Glieder. Sie wurde dösig, fühlte sich gleich müde und schläfrig. Das Denken fiel ihr so schwer wie Dreckschaufeln. »Carup, das ist unmöglich.« Jetzt begann sie sich in ihren Lügen zu verstricken, allesamt kehrten sie sich nun gegen sie, sie drohte in die dem Mädchen gegrabene Grube zu fallen. Immerhin stimmte ihre letzte Aussage weitgehend mit der Wahrheit überein. Sie konnte das Mädchen wirklich nicht mitnehmen. Aber es gab eine tiefere Wahrheit: Sie wollte es auch gar nicht. Carup spürte es, obwohl sie sich dessen nicht bewußt wurde, und versuchte sich dagegen aufzulehnen, wehrte sich sinn- und zwecklos gegen die Trennung. Brann fuhr sich mit der Faust über den Mund, ließ für einen Augenblick die Lider sinken. Sie hatte wahrlich einen günstigen Zeitpunkt gewählt, um Carup in die Selbständigkeit zu entlassen. »Wohin ich gehen muß, dorthin kann niemand mir folgen.« Du mußt einen überzeugenden Eindruck erwecken, Brann, sie wird halsstarrig sein. »Und wenn du deinem Vater klarmachst, daß die Mitgift das Geschenk einer Gottheit ist?«
»Er würde nicht auf mich hören. Und hörte er mir zu, würde er mir nicht glauben.« Carup zog das Federbett fester um die Schultern, zog die Beine ein und unter den Leib. Nun kämpfte sie; endlich kämpfte sie um etwas, das sie wollte. »Wenn ich heimkehre und er mich wieder als Tochter aufnimmt, werde ich von neuem sein Eigentum sein. Hör mir zu ...« Mitten im Satz versagte ihre Stimme. »Ich will dir erzählen«, sagte sie, sobald sie weitersprechen konnte, »wie's bei mir daheim zuging, Jantria. Meine Mutter wob Blusen und verkaufte sie in Pattan Haria auf dem Markt. Dank ihrer kunstvollen Stickereien genoß sie ein gewisses Ansehen. Manchmal hatte sie durch ihr Gewerbe mehr Einnahmen, als mein Vater mit der Landarbeit.« Sie räusperte sich; langsam kam ihre Hand unterm Federbett hervor und strich über die Seite des Gesichts, auf der sich zuvor das Muttermal befunden hatte. Als sie weiterredete, geschah es in heiserem halblauten Ton; sie brach eines der strengsten Tabus der hiesigen Lebensweise, während sie über die Angelegenheiten ihrer Familie sprach. »Wenn die Nomadenstämme an den Tabaga-See kamen und meine Brüder nach Pattan Haria wollten, um mit den Ankömmlingen zu trinken, nahm er ihr jedesmal das Geld ab. Meine Mutter hat sich bei der Arbeit an den Blusen die Augen verdorben und die Finger wundgeschuftet, stets hat sie zu wenig geschlafen, und er nahm ihr das Geld weg, damit meine Brüder es versaufen konnten. Nichts zählte, was sie sagte, ihre Pläne, die sie mit dem Geld hatte, scherten ihn nicht, sie war ja sein, also gehöre ihm auch, was sie besaß. Wenn ich nach Hause zurückkehre, wird's mir genauso ergehen.«
Brann rieb sich die Augen, während aus ihrem Vorhaben, Carup Kalan loszuwerden, ein Scherbenhaufen wurde. Sie war gänzlich sicher gewesen, sie könnte das Mädchen heimsenden und alles übrige dessen Familie
Weitere Kostenlose Bücher