Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Aufgaben eine nach der anderen zu bewältigen; an erster Stelle gedachte sie ihre Verpflichtung gegenüber Carup Kalan einzulösen.
9 Drei Tage später. Frühmorgens, rund zwei Stunden vor Morgengrauen. Draußen regnet es, schwacher Wind weht, der Regen fällt fast senkrecht, ist die Art von Regen, die den Eindruck erweckt, nie wieder zu enden, als müßte der Rest des Lebens grau, kühl und feucht bleiben, die Art von Regen, bei der man sich selbst in der erbärmlichsten Behausung wie in einem Palast fühlt, solange nur ein Feuerchen brennt, das die Nässe fernhält.
Brann schob den Vorhang beiseite, der die Tür ihrer Schlafkammer verschloß, schlüpfte in den engen Wohnraum, in dem Carup schlief. Das Haar hing Brann lose über die Schultern, als wallte eine Masse feiner, weißer Spinnweben; sie zeigte das eigene Gesicht, ein junges Gesicht ohne Falten, die Augen grün wie frische Blättchen, mit sanft geschwungenem, zartem Mund, der Weichheit und Güte zum Ausdruck brachte. Sie trug ein schwarzes, mit Gold, Silber und Rubinen benähtes Samtgewand. Jaril hatte es ihr aus dem Kleiderbestand eines Isu gestohlen, dessen Geschmack in Sachen des Schmucks und der Zier dermaßen schlecht sein mußte, daß das Ausmaß seiner Geschmacksverirrung schon eine ungewöhnliche Leistung für sich darstellte. Jaril hatte gegrinst, als er es ihr vorzeigte; als sie dazu bemerkte, mieser Geschmack sei besser als gar kein Geschmack, hatte ihn ein Lachkrampf gepackt, so daß sie ihn aus Sorge, er könnte Carup wecken, mit heftigem Zischen zur Ruhe mahnen mußte. In der Linken hatte sie einen schweren hölzernen Kerzenleuchter, der größer war als sie und mit einer getrübten, so dünnen Schicht Silber überzogen, daß sie sich bisher gescheut hatte, ihn zu reinigen, weil die Versilberung wirkte, als müßte sie abblättern, wenn man sie nur fest anschaute. Auf die Metallspitze des Leuchters hatte sie eine dicke weiße Kerze gesteckt, aber noch nicht angezündet. Die einzige Helligkeit im Wohnraum stammte aus dem Herd, aus dem schwaches rotes Schimmern der vom Feuer des vergangenen Abends unter einem Haufen grauer Asche zurückgebliebenen Glut drang.
Jaril strich als schwarzer Panther mit Kristallaugen an ihr vorbei, bewegte sich mit unheimlicher Lautlosigkeit. Er huschte zu Carup, schnupperte an ihr, kam zurück. *Sie ist soweit, Brombeer. Ihre Augen regen sich, sie hat zu träumen angefangen.*
Brann nickte, senkte den Kerzenhalter, bis sich der Docht in Jarils Kopfhöhe befand. »Mach mir Licht, Jay«, flüsterte sie.
Er spie einen Funken auf den Docht, sein Panthergesicht schmunzelte, als Brann den Kerzenhalter schnell aufrichtete, sobald der Docht zu brennen begann. *Ein großer Vorteil, mich dabei zu haben, hm?*
»Bisweilen, aber laß es dir nicht zu Kopf steigen.«
Brann betrachtete ihn. »Vielleicht solltest du lieber weiß sein. In dieser Farbe kann man dich im Dunkeln kaum erkennen.« Er verzog das Maul zu einem Raubtiergrinsen und schnurrte. Seine Augen fingen silbrigweiß zu gleißen an, die Haarspitzen des Fells wurden durchsichtig, begann von klarem weißen Licht zu leuchten. Er war unverändert eine schwarze Raubkatze, jedoch mit Umrissen in mondhellem Schimmer. »Sehr eindrucksvoll«, meinte Brann leise und erwiderte sein Grinsen. »Nun dann, ans Werk.«
Der Kerzenschein erzeugte rings um ihr glitzriges Haar einen Lichtkreis, warf in die Höhlungen ihres Gesichts gespenstische Schatten und schien aus den Ringen an der Hand, die den Schaft des Kerzenständers hielt, Feuer zu schlagen. »Carup«, rief Brann, »Carup Kalan! Wach auf, Carup. Carup Kalan.« Das Mädchen erwachte, war zuerst verwirrt, dann packte Furcht es, so daß es sich unter die Decken wühlte, an die Wand kroch; es zog die Knie an, warf die Arme vors Gesicht, wimmerte. »Fürchte dich nicht«, sagte Brann. Ihre Stimme klang tief und freundlich, richtiggehend nach einem Lächeln. »Ich bin's, die zuvor die Jantria war, Carup Kalan. Schau mich an, Kind. Ich will dir nichts Böses.«
Carup schlotterte noch, als sie die Arme senkte, lugte über das feine Schimmern der Härchen auf ihrem Arm hinweg Brann an. Brann hob eine Hand zum Segen. Zunächst schrak Carup zurück, duckte sich, so wie sie sich ihr ganzes Leben lang stets nur geduckt hatte, das war der einzige Weg, den sie kannte, um Mißhandlungen, die ihr zugefügt werden sollten, abzuwenden oder abzumildern. Dann sah sie Branns Lächeln, eher die Andeutung eines Lächelns, nur ein
Weitere Kostenlose Bücher