Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Augenblick später war er zu einem Kranich geworden und schwang sich in die Lüfte empor, um zu dem Doulahar zu fliegen und seinem beinahe zwanghaften Drang zum Beobachten nachzugeben, obwohl er seine unvernünftige Neigung sowie die Kälte und Nässe verfluchte.
Brann kehrte mit dem Handspiegel, den sie gekauft hatte, um ihn Carup nach ihrer Verwandlung zu schenken, zurück ins Wohnzimmer. »Öffne die Augen, Carup Kalan, und sieh dir mein zweites Geschenk an.« Flüchtig zögerte das Mädchen, ehe es seufzte und wie geheißen tat. Brann biß sich auf die Lippe. Wo ist dein Mumm, Mädchen? Du bist nicht der Dreck unter jedermanns Füßen. Sie sagte dazu nichts. Es wäre sinnlos. Carup war so, wie ihre Umgebung sie gemacht hatte. »Setz dich!« verlangte Brann. »Schau dir deine Hände an, Kind!« Carup stemmte sich hoch, bis sie, die Füße auf dem Boden, wieder auf der Bettkante saß. Sie betrachtete ihre Hände, ihr entfuhr ein Keuchlaut. Sie betastete den linken Schenkel, die Brüste, berührte das Gesicht. »Nimm dein letztes Geschenk, diesen Spiegel, und sieh dich an, Carup Kalan.«
Brann ließ das Mädchen allein, das in den Spiegel starrte und das Gesicht befühlte, als wäre es zu glauben außerstande, was es sah, und müßte es sich durch die Finger bestätigen. In der Schlafkammer zog Brann das Gewand aus und nahm mit erheblicher Mühe wieder die Erscheinung der Jantria Bar Ana an. Sie kleidete sich in ihre gewöhnlichen Sachen und hockte sich für ein Weilchen aufs Bett, sammelte Kräfte.
»Jantria?« Die Stimme aus dem Nebenraum klang zaghaft, bebte aus Aufregung und anhaltender Furcht.
»Warte kurz, Carup.« Brann erhob sich vom Bett, befingerte ihren Zopf, um sich zu vergewissern, daß die Spange richtig geschlossen war, damit der Zopf sich nicht bei der ersten Kopfbewegung löste. Mir ist zumute, dachte sie, als müßte ich selbst mich auflösen. Huuh! Wenn ich das Mädchen wieder zum Schlafen veranlassen kann, wird's noch einige Zeit lang dunkel bleiben, so daß ich mir womöglich ein, zwei nahrhafte Mörder suchen kann. Nein. Einen Sklavenhändler. Das ist angebrachter, würde ich sagen. Fast ein Schwank. Die für eine Sklavin verbrauchten Kräfte an einem Sklavenhändler auffrischen. Hah!
Sie trat zu der Kiste, die sie als Kleidertruhe und Ankleidetisch benutzte, stieß ein Brummen aus, als sie eine kleine, mit Eisen beschlagene Kassette von der Kiste hob. Mit gebeugten Schultern schlüpfte sie, indem sie den Vorhang mit dem Ellbogen beiseiteschob, zurück ins Nebenzimmer.
Carup kauerte auf dem Bett. Sie hatte das Nachthemd wieder übergestreift und sich ein Federbett um die Schultern geschlungen; trotzdem errötete sie, als Brann eintrat, wirkte verunsichert, weil sie nun erneut die Greisin sah, die sie freigekauft hatte. Sie widmete dem Spiegel einen verstohlenen Blick; er stand neben der Kerze auf dem Tisch, sie hatte ihn an eine Sandale gelehnt, um sich sehen zu können, wenn sie hinschaute. Sie errötete nochmals, senkte den Blick auf die Hände, die gefaltet, die Finger fest ineinandergeklammert, in ihrem Schoß ruhten.
Brann nickte in die Richtung von Kerze und Spiegel. »Tu die Sachen weg, ja, Carup? Ich möchte diese Kassette dort hinstellen. Sie ist schwer.«
Hastig legte das Mädchen den Spiegel aufs Bett, nahm die Sandale von der Kiste und schob die Kerze zur Seite. »Ist's so recht?«
»Wird wohl.« Die aus dünnen Latten gezimmerte Kiste knarrte unter dem Gewicht der Kassette. »Gegenwärtig ist sie unverschlossen, doch in Zukunft solltest du sie verschließen. Mach sie auf.«
»Ich?«
»Das ist deine Mitgift, Jung Carup. Nun tu, was ich dir sage. Öffne die Kassette.«
»Oh!« Carup hob den Deckel. In der Kassette befanden sich zwei Beutel aus Hirschleder und eine kleine Geldbörse. Carup lockerte die Zugschnüre des größeren Beutels, griff hinein und holte eine Handvoll Münzen hervor. Dicke schwere Goldmünzen, die sich kalt und schmierig anfühlten. »Jorpashiler Jaraufs«, raunte Carup. »Sahanai, Tochter des Siradars, trug ihre Jaraufs bei ihrer Hochzeit um den Hals.«
»Einhundert sind's«, sagte Brann. »Ich habe dir die Mitgift einer Königin versprochen, Kind, und da ist sie.«
»Sie hatte bloß zehn.« Immer wieder drehte Carup die großen Münzen zwischen den Fingern, rieb die eine oder andere mit dem Daumen; schließlich füllte sie sie wieder in den Beutel und zog die Zugschnüre zu; so ordentlich, wie sie sich bei allem verhielt, verknüpfte sie die
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