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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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verhielt sie sich ebenso wild und rauh wie er, der Wind hatte auf sie diese Wirkung, sie benutzte ihn zur Erfüllung von Gelüsten, die sie vor ein, zwei Monaten noch entsetzt und beschämt hätten, und danach schlief sie wie eine Betäubte.
    Als sie durch einen zerfransten Ring aus GeisterÜberresten in den Windschatten Kapi Yuntipeks glitten, schien selbst die Miyachungay vor Erleichterung aufzuseufzen.
     
    9 Ein Ausläufer der Geister-Fragmente, die Kapi Yuntipek als Dunstring umwallten, gab Korimenei gleichsam das Geleit, als sie eine Woche später von der Stadt aufbrach, ein fast wie Milch klumpiger, weißlicher Finger folgte ihr hartnäckig, konnte sie aber nicht berühren; sie mißachtete ihn vollständig, hielt ihr Kleinpferd ruhig und zu gleichmäßiger Gangart an. Hinter ihr hockte Ailiki auf dem Packpferdchen, beruhigte den kleinen Wallach und trieb ihn hinterher. Unvermittelt zuckte der Finger regelrecht zurück, und sie ritten in einen eisig kalten, jedoch hellen Tag hinein; die Luft war so klar, daß die Berge zum Greifen nah zu sein schienen.
    Trotz ihres Ruhms taugte die Seidenstraße als Straße wenig. Es handelte sich um eine staubige Fernstraße, gekennzeichnet durch Steinhaufen, deren nächster in Sicht kam, wenn der vorherige am Horizont außer Sichtweite geriet. In der nördlichen Umgebung Kapi Yuntipeks schlängelte sie sich in ausgedehnten Biegungen durch ein schmales Umland kleinerer Gehöfte, überquerte Brücken, die an Schluckauf erinnerten, wie sie sich da über winzige Bewässerungskanäle wölbten, Rinnsale voller Flußwasser. Temueng-Leibeigene, die auf den Äckern arbeiteten, richteten sich auf und starrten ihr nach, ihre dunklen Augen widerspiegelten Argwohn und Feindseligkeit. Das Land, auf dem sie standen, gehörte dem Kangi Pohgin, dem Scharfrichter in Kapi Yuntipek, sie mußten sich abrackern bis zum Umfallen, zwei Drittel jeder Ernte mußten sie abliefern, sowohl von den Temueng-Steppenstämmen wie auch den Bergräubern waren sie Überfällen und Plünderungen ausgesetzt, von jedem außerhalb der eigenen Familien erwarteten sie nichts als Drangsal. Sie weckten bei Korimenei Erinnerungen an die Bewohner der Ebenen in Cheonea, sie hatten das gleiche harte, knorrige Äußere, vermittelten den gleichen Eindruck, in der Erde verwurzelt, bewegliche Erweiterungen des Erdreichs in Menschengestalt zu sein, sie warfen die gleiche Art verstohlener Blicke um sich. Gäbe sie ihnen dazu nur die kleinste Gelegenheit, würden sie über sie herfallen und von ihr bloß die Knochen übriglassen; man sah es in ihren Augen und der Haltung ihrer Körper.
    Nach Verlassen des Ackerlands ritt Kori zwischen Seitenstreifen von Temugras, das höher als die Steigbügel wuchs, im ewigen Ostwind schwankte, das Aneinanderrascheln einzelner Halme wurde zu einem in weitem Umkreis hörbaren, einheitlichen Raunen. Es hatte eine gewissermaßen einschläfernde Wirkung. Sie ließ sich davon umwispern, atmetete es; nach etwa einer Stunde kam es ihr so vor, als könnte sie darin Stimmen Geheimnisse flüstern hören, die sie nie vollauf zu verstehen vermochte. Im Norden und Osten der Stadt erstreckte sich das Grasland bis in unermeßliche Fernen, bis an den Horizont und weiter, ein Meer von Gelb und Silbrig-Braun, das sich unablässig kräuselte, ununterbrochen die Farbe wechselte, die Färbung wandelte sich nur äußerst fein ab, in kaum unterscheidbaren Abstufungen der Grundfarben. Ein Meer von Gras, so weit wie ein wirkliches Meer voller Wasser.
    Die durchdringende, schmerzliche Einsamkeit, die Kori in der Stadt gelitten hatte, wich langsam von ihr, indem sie die Eindrücke ständigen Gedrängtseins und des Zeitmangels, das Gefühl des Schnell-schnell und Weiter-weiter, wie sie sie innerhalb der Mauern gehabt hatte, allmählich ablegte; sie fügte sich wieder in die langen gemächlichen Abläufe des Landes ein, den Kreislauf von Geburt, Wachstum, Tod, Wiedergeburt, das unausweichliche, unabänderliche, ewige Rad des Lebens. Inmitten der gewaltig großen, weiten Landschaft war sie nur ein winzig kleines Geschöpfchen, doch sie fühlte sich deswegen nicht klein; nein, vielmehr war ihr zumute, als wäre ihre Haut abgeschält worden, so daß sie nicht länger in einer Hülle stak, sondern einen untrennbaren Teil des riesigen, über alles gewölbten Himmels, des glitzrigen Meers von Gras abgab.
    Nach ungefähr drei Stunden legte sie eine Rast ein, tränkte die Pferdchen an einem der Brunnen längs der Seidenstraße und

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