Brann 03 - Das Sammeln der Steine
doch jetzt erkannte sie zum erstenmal wirklich, was für eine Anstalt von allerhöchstem Rang sie besuchte. Nur das Gelände des Tempels war noch ausgedehnter. Du hast mir eine große Gefälligkeit erwiesen, mein Freund Maks. Ich glaube, ich muß dir tatsächlich dankbar sein. Sie seufzte und setzte den Weg fort. Hmm. Ich hatte damit gerechnet, dich wiederzusehen, bevor es soweit ist. Nun ja, ich denke mir, du hast reichlich, reichlich damit zu tun, die Welt umzukrempeln. Sie hatte starke Zuneigung zu dem Magier entwickelt, und es enttäuschte sie, daß er nicht gekommen war.
Das sangesgleiche Murmeln von Wasser durchdrang die Bäume; Kori überstieg eine Erhebung des Abhangs und blickte hinunter in eine uralte Klamm, durch die ein Bach über eine Reihe von Felsstufen abwärtsstürzte, und um schwärzliche, bemooste Felsblöcke schäumte. Der Pfad verlief am Rande des Hohlwegs weiter, überquerte die Schlucht mittels einer hölzernen, schön gebauten Brücke — jeder Balken, jede Bohle war von Hand gehauen und geglättet, alle Bestandteile waren mit Holzpflöcken und Bindungen aus dünnen, haltbaren Seilen zusammengefügt worden —, schlängelte sich auf der anderen Seite durch einen Hain alter Eichen, hinter dem — man konnte das Wäldchen mit wenigen Schritten durchmessen — die Alm des Alten lag.
Die kleine putzige Kate des Alten stand mitten auf der Wiese, halb versteckt unter den abgesunkenen Ästen einer riesenhaften Eiche; so wie die Brücke war auch die Kate aus mit Äxten geglätteten Balken errichtet und mit einem Dach aus Zedernreisig gedeckt worden. Korimenei streifte den Ranzen vom Rücken, kramte darin, holte das für den Greis eingepackte Geschenk hervor, ein Halbpfund vom teuersten Tee, den man auf dem Sililier Markt kaufen konnte; es war in ein rohseidenes Tuch gewickelt und steckte in einer mit Schnitzereien verzierten Ebenholz-Schachtel.
Der Alte kniete zwischen Reihen von Zwiebelsetzlingen, rupfte vorsichtig das rings um sie gewucherte Gras und Unkraut aus. Zwischen den im Verwelken begriffenen Ranken an den Bohnenstangen rannten bei lautlosen Spielen Geisterkinder umher, beaufsichtigt von dermaßen verschwommenen Großmuttergeistern, daß man sie bloß noch als andeutungsweise Umrisse wahrnahm, während Großvatergeister neben dem Greis kauerten, mit ihm plauderten, ihn auf Unkraut aufmerksam machten. In der Nähe der Bäume trieb sich der Geist eines Erdrosselten herum, beobachtete Korimenei mit furchterregender Eindringlichkeit. Eine Enthauptete, den verunstalteten Schädel unter den
Arm geklemmt, sauste auf Korimenei zu, wich erst dicht vor ihr aus, ein Klageheulen hallte hinter dem Geist her, das man mehr ahnte als hörte. Korimenei ließ sich von keinem der Geister beeindrucken, sondern blieb am Ende einer Reihe Zwiebelpflänzchen stehen und wartete höflich darauf, daß sich der Greis ihr näherte. Ihre erste Bekanntschaft mit den Sililier Geistern hatte sie erschreckt, die Owlyner Geister blieben nämlich in anständiger Zurückhaltung in den Baumwipfeln, bis sie sich verflüchtigten; aber der Lauf der Dinge und Gewöhnung hatten ihr zur Vertrautheit mit den immer gegenwärtigen und bisweilen lautstarken Toten verholfen.
Der Greis ging in die Hocke, seine von Erde verkrusteten Hände stützte er auf die Schenkel. Die morgendliche Helligkeit, klar und kühl wie Wasser, erfüllt mit gaukelfreudigen Faltern, machte jede Furche, jede Warze und jedes Haar seiner ruhigen Miene deutlich erkennbar. Er blinzelte, seine sanften, alten Augen öffneten und schlössen sich mit bedächtiger Langsamkeit; in seinem schäbigen braunen Gewand, mit den Büscheln von weißem Haar über den Ohren, dem runden Gesicht besaß er Ähnlichkeit mit einer großen Ohreule. Außerdem sah er harmlos und nicht allzu gescheit aus, doch es gab zahlreiche Geschichten über ihn und etliche vermessene Zudringlinge, die vermeint hatten, ihm seine Geheimnisse abtrotzen zu können. »Saöri?« Seine Stimme glich dem trockenen Rascheln gefallenen Laubs.
Korimenei verbeugte sich und hielt ihm die Schachtel hin. »Eine unwürdige Schülerin wollte es als Ehre betrachten, wenn der Saör diese Handvoll jämmerlichen Tees anzunehmen erwägt.«
Der Greis griff sich die Schachtel und schob sie in eine Tasche seines Gewands. »Laß den Berg so, wie du ihn vorfindest«, sagte er.
»Ich habe verstanden und schwöre, daß es so sein wird, Saör.«
Der Alte stieß einen Brummlaut aus, wandte sich in der Hocke um und begann rings
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