Brann 03 - Das Sammeln der Steine
dich 'n Talisman aufspüre und ihn dir bringe?«
»Ja, Kori. Ja, ja, ja! Bitte! Den Talisman mit dem Namen Frunzacoache.«
»Na schön, wenn's dir so wichtig ist. Weshalb gerade den?«
Trago beantwortete die Frage nicht, sondern erging sich in Erläuterungen. »Frunzacoache ist vor Jahren verschwunden, aber ich habe ihn gefunden. Er steckt in der Torboaz eines Rushgaramuv-Schamanen. Der Kerl weiß gar nicht, was er da hat. Seine magische Begabung reicht kaum aus, um ein Flämmchen zu entfachen. Irgendwie hegt er davon eine undeutliche Vorstellung, daß der Stein ein Quell der Macht ist, deshalb verwahrt er ihn ganz unten in seinem Essenzenbeutel. Wenn du eine gute Nachahmung erschaffst und ihr ein bißchen Kraft einflößt, wird er es nie merken, daß du ihm den richtigen Talisman weggenommen hast. Bring ihn mir, Kori. Biiitte!«
Das Eidolon erlosch, bevor Korimenei darauf etwas entgegnen konnte. Sie lag im Dunkeln da und starrte die Stelle an, wo es eben geschwebt hatte. Es dauerte lang, ehe sie wieder einschlummerte.
2 Korimenei zog die Halbschläge fest, schaute über die Bucht hinüber zum Inselpaar Utar-Selt aus, verließ den kurzen Landungssteg und begann den Berghang zu erklimmen.
Sie war hochgewachsen und schlaksig, für ihre Körpergröße dünn, hatte lange, schmale Hände und Füße, die für ihren Wuchs zu groß wirkten. Sie besaß feines, lockiges, loses Haar in der Farbe toten Laubs, einem wie verblichenen Graubraun, das jedoch in gleichartig fahlem Goldbraun schimmerte, wenn die Sonne durchschien. Ihre Augen zeichneten sich durch ein helles Graugrün aus, das der Färbung von überschattetem Wasser glich; ihre Haut war dünn und bleich, rings um die längliche Nase und auf den hohen, breiten Wangenknochen befand sich ein Gesprengsei von Sommersprossen; zu Koris häufiger Verlegenheit konnte man unter ihrer Haut jedes Fließen und Wallen des Bluts beobachten.
Sie trug eine alte Hose aus Segeltuch, zerfranst und vom vielen Waschen weich wie Samt, eine Hinterlassenschaft einer schon vor langem von der Schule abgegangenen Schülerin, und ein ärmelloses Strickwams mit hohem Kragen, mehreren schlecht aufgenähten Flicken sowie etlichen sonstigen Flickstellen und Ausbesserungen. Darüber hatte sie einen knielangen Segeltuchmantel mit großen Taschen und weiten Armein gezogen; er war nicht ganz so alt wie die Hose, doch selbst ein Lumpenhändler hätte darüber die Nase gerümpft. An den Füßen hatte sie ein Paar Sandalen mit dicken Sohlen, noch ziemlich neu, aber ebenso zerkratzt und zerschrammt wie ihre Fußknöchel. Auf dem Rücken beförderte sie einen alten, ledernen Ranzen mit nicht allzu gewichtigem Inhalt; unter den Ranzen hatte sie eine dicke, fest zu einer Rolle zusammengewickelte Decke gebunden.
Sie erstieg den Berg des Alten, beschritt einen etwas versteckt gelegenen, jedoch gründlich ausgetretenen Pfad. Die meiste Zeit über wanderte sie durch niedrige Gehölze mit Ahorn, Rotbuchen, Espen und Eichen, die Morgensonne leuchtete durch die Blätter, als bestünden sie aus durchscheinenden, hellen und dunklen, goldgelben und grünen Jadesplittern, und die Schatten des Laubs bildeten auf der roten Erde des Pfads unruhige Fleckenmuster. Hundert Arten von Singvögeln flitzten und schwirrten über Kori umher, vorwiegend im Laubwerk verborgen, sangen sie ohrenfällige Einzelweisen oder zu vielen in wohlklingendem Durcheinander. Ab und zu führte der Pfad aus den Bäumen in einen unbewachsenen Abhang oder an einer Steilwand entlang und bot ihr einen ungetrübten Ausblick über die Bucht.
Auf halber Strecke zur Alm des Alten blieb sie stehen und schaute sich nach Silili um; sie konnte die vergoldeten Dächer der Schulgebäude erkennen, die aus den dunklen Eiben, Eichen und Weiden emporragten, die man in den Wassergärten und längs der Gehwege angepflanzt hatte. Es verblüffte sie, als sie feststellte, wieviel Platz die Schule auf dem Südhang von Utars Tempelberg einnahm. Innerhalb der Mauern hatte man keinerlei Aussicht in irgendeine Richtung, für den Unterricht und die Meditation standen ausschließlich Gärten zur Verfügung, die man allerdings als wahre grüne Schmuckstücke einstufen mußte, infolgedessen ließ sich die Ausdehnung der Schule unmöglich schätzen, hielt man sich in ihrem Innern auf. Aus der Art und Weise, wie Händler ihr begegneten, sobald sie das ihrer Bluse aufgenähte Abzeichen der Schule sahen, hatte sie gefolgert, daß diese eine bedeutsame Einrichtung sein mußte,
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