Brann 03 - Das Sammeln der Steine
geht dir besser.«
»Wir haben nichts Genaues gewußt, Brombeer.«
»Stimmt. Wie weit entfernt von hier liegt denn Jorpashil?«
»Yaro und ich sind geflogen, wir brauchten ungefähr fünfeinhalb Tage. Falls wir dir kein Reittier besorgen können, wirst du laufen müssen und wahrscheinlich dreimal so lange brauchen, vielleicht sogar etwas länger, laß uns sagen, zwanzig Tage.«
Brann hüllte sich enger in die Decken, es schauderte ihr ein wenig, als von irgendwoher kalter Luftzug ihr durch Ritzen unter die Kleidung kroch. »Ich könnte uns mit einem von Maksims Rufmichs behelfen. Wenn er hier ist, kann er uns mit 'm Fingerschnippen nach Jorpashil versetzen.«
»Wie viele hat er dir gegeben?«
»Sechs.«
»Ich habe das Gefühl, du solltest sie für wichtigere Anlässe aufbewahren.«
»Was soll wichtiger sein als meine armen, kleinen Füßchen?«
» Brommmmbeer!«
»Mhm. Du bist schon dort gewesen, ich nicht. Was für 'n Gesicht empfiehlst du?«
»Alt und häßlich. Ursprünglich geht die Stadtgründung auf einen Stamm von Temueng-Nomaden zurück, einen Ableger der Steppenhirten-Klans, der zur Landwirtschaft übergegangen ist, sich vor etwa tausend Jahren am Pikma-See angesiedelt hat. Seitdem hat er sich mit Phrasern, Rukka Nagh, Lewinkobern, Gallinasi und allem vermischt, was sonst den Fluß heraufkam, aber die Einstellung zu Frauen ist dadurch nicht verändert worden. Du kennst ja die Temueng.«
»Das kann man wohl sagen. Willst du die ganze Nacht im Feuer zubringen?«
»O ja. Spricht irgend etwas dagegen?«
»Nein, bloß schieb ab und zu 'n paar Scheite nach, hmm?«
»Ich bin der Feuerhüter, während du schläfst, was?«
»Könnte ich einen Besseren finden?« Brann lächelte, stand auf, nahm die Decke, auf der sie gesessen hatte. Sie schüttelte sie aus, faltete sie einmal und legte sie näher ans Feuer. »Wecke mich in der Morgenfrühe. Es ist wohl klüger, früh aufzustehen.« Sie schlang die zweite Decke um den Körper und bettete sich neben das Feuer. »Slyas Segen, ist der Fels hart ...« Sie gähnte, wälzte sich auf die Seite, wandte das Gesicht dem Feuer zu, und schlief binnen weniger Augenblicke ein.
2 Zwanzig Tage später stapfte eine hochgewachsene hagere Gottessucherin die Seidenstraße entlang, in einer Faust einen knorrigen Wanderstab, während die andere Hand locker herabbaumelte. Sie trug einen alten, zerfledderten Überrock und eine geraffte Hose aus rauher Wolle; ihre Sandalen waren stark verschlissen und mit Schnüren geflickt. Das stumpfgraue Haar hatte sie lose zu einem Zopf geflochten, der ihr auf den Rücken hing, der fransige Zipfel hüpfte bei jedem Schritt auf ihrem Gesäß. Strähnen grauen Haars umwehten ihr von Wind und Wetter gekennzeichnetes Gesicht. Ihr Mund glich einem waagerechten Strich, umkerbt von tiefen Furchen, die von den Flügeln einer langen, knochigen Nase abwärts verliefen. Neben ihr zog ein großer schwarzer Hund, ein in Decken gewickeltes Bündel auf den Rücken geschnallt, des Wegs.
Am Rande des vom Fluß gespeisten Stadtgrabens blieb die Frau stehen, rümpfte die Nase, als sie eine dicke grüne Matte von Jeppu-Gewächsen und einen Schwarm Zikaden sah, die wie in Raserei zu zirpen begannen, sobald sie den Deich erstiegen hatte, auf sie hinabschaute. »Und wie gelangen wir hinüber?«
Der Hund blickte zu ihr auf, wandte sich dann südwärts und trottete auf dem Deichweg weiter. Die Frau folgte ihm.
In der Nähe der Stelle, wo der Fluß in den Stadtgraben mündete, befand sich der Anlegeplatz einer Fähre; an einem Gerüst hing ein Gong. Mit einer Lederschlaufe im Holzgriff war ein mit Lumpen umwickelter Klöppel an einen rostigen Nagel gehängt worden. Durch das Jeppu-Gewucher hatte man einen Pfad gehauen, an dessen Ende man eine Wasserfläche sah, groß genug, um dem Fährboot als Liegeplatz zu dienen. Die Fähre lag am anderen Ufer, der Fährmann war nirgends zu sehen. Brann überschattete mit einer Hand die Augen, spähte übers Wasser. Sie vermochte weitere Anlegestellen an anderen Stadttoren zu erkennen. Überall lagen die Fährboote am Stadtufer. Brann zuckte die Achseln, nahm den Klöppel vom Nagel und schlug mehrmals den Gong.
Nichts geschah.
Sie betrachtete den Klöppel, hob nochmals die Schultern, hängte ihn zurück an den Nagel. »Er wird sich wohl einfinden, wenn er dazu Laune hat.«
Der schwarze Hund gähnte und streckte sich auf dem Bauch aus. Die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt, während ihm die Zunge aus dem Maul
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