Brann 03 - Das Sammeln der Steine
innewohnende Kraft einen gewissen Pegel unterschritt. Diese Vorstellung erschreckte Brann. Sie mußte darüber befinden, ob sie ernsthaft an das Vorhandensein einer solchen inneren Einrichtung glaubte, und wenn ja, was sie in dieser Hinsicht tun könnte. Ich bin diesen Unfug leid, dachte sie. All das ist viel zu verwickelt, um sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Jaril war unruhig; was er in den Frauen ersah, verhalf zu keinen neuen Spuren, deshalb wollte er auf dem Großen Markt umherschlendern, wie er es mit Yaril getan hatte, als sie zusammen in Jorpashil gewesen waren, sich selbst als Köder anbieten, darauf vertrauen, daß Brann niemanden ihn verschlingen ließ. Slyas Segen, ich will nicht, daß er so verfährt. Ich hoffe, er findet heute irgendeinen Hinweis. Falls du so huldvoll bist, mir Gehör zu schenken, Sarimbara, sei so gut und hilf ihm ein wenig auf die Sprünge. Schläfrige Sambar, du hast einige Ähnlichkeit mit meiner verschlafenen Heimatgöttin. Was war das für ein Anblick, als Slya Feuerherz wie ein riesiges, feuerrotes Hausweib, das Ungeziefer zertritt, durch den Audienzsaal des Temueng-Kaisers trampelte. Schlaf, Slya, schlaf, haben wir gesungen, denn wenn du erwacht bist...
»Slya erwacht,
Berg kracht.
Lüfte hallen,
Felsen fallen.
Aschenhauch tötet auch.
Schlaf, Slya - Slya, schlaf:
Yongala tanzen für dich Träume.
Regt Slya die Beine,
schmelzen gar Steine.
Rote Flüsse brodeln, brausen,
Finsternis bringt Grausen.
Tiere flugs entfleuchen,
Menschen sich verkreuchen.
Giftdünste Haine verseuchen.
Schlaf, Slya — Slya, schlaf:
Yongala tanzen für dich Träume.«
Das hör sich einer an, ich blödsinniges altes Weib singe Slyas Schlummerliedchen hier in Sarimbaras Heiligtum! Das ist, gelinde ausgedrückt, eine Unhöflichkeit, zweifelsfrei Unhöflichkeit. Ich muß heim ... Ich habe inzwischen mehr als einen Grund zur Heimkehr. Ich muß Slya dazu bringen, daß sie die Gestaltwandler in ihre Welt zurückversetzt. Bei Vierzig Weltlichen Höllen, wie Maksim zu sagen pflegt, das dürfte eine ungeheure Überzeugungskraft erfordern. Wieso eigentlich gerade vierzig? Ach Maksim, o Maksim, mein Liebster, ich vermisse dich höllisch.
Indem sie auf dem Gesäß leicht schaukelte, vor sich hinmurmelte, ihre Gedanken mal um dies, mal um jenes kreisten, ohne daß irgendwelche der Gedankengänge ihr auch nur den geringsten Trost gespendet hätten, brachte Brann die hellen Stunden des Tages im Tempel zu. Als die Sonne unterging und die Laternenanzünder unterwegs waren, kehrte sie zurück in ihre Bruchbude.
5 Der Wunde Mond stand am Himmel und schwebte durch Wolken, von denen kein Regen drohte, als Jaril von der heutigen Suche wiederkam; Brann hatte das Abendessen auf dem Tisch stehen und schüttete soeben Teeblätter zur Hintertür hinaus. Er verwandelte sich in seine menschliche Gestalt, unmittelbar bevor seine Raubvogelkrallen die Binsenmatte berührten, stolperte, fing sich ab und stürzte sofort zu der Truhe, die die Weinkrüge enthielt.
Brann hob die Brauen, zog die Tür zu. »Das Leckerste schmeckt dir am besten, hm?« Sie goß sich Tee in einen Becher, schaute zu, während sie im Stehen davon schlürfte, wie Jaril einen Krug und zwei Weingläser auf den Tisch stellte. »Hast du was dagegen, wenn ich erst esse? Ich habe den ganzen Tag lang im Tempel gesessen. Das reicht aus, um einem den Magen zu verderben, auch ohne daß man sich Wein in den leeren Bauch füllt.«
»Dagegen?« Ein Grinsen teilte Jarils Gesicht, er schwang den Krug in gefährlicher Nähe einer Lampe. »Ich täte sogar dem alten Maksim, wäre er jetzt da, die Füsse küssen. Iß, Brombeer. Iß den Tisch, wenn du magst ...« Er schenkte Wein in ein Glas, leerte es hastig, füllte dann beide Gläser, reichte eines Brann. »Aber zuerst trinken wir ein Glas auf Tungjiis Glück.«
»Ich nehme an, du hast sie gefunden. Oder den Übeltäter.«
»Ich habe etwas gefunden. Trink, Brombeer, trink!«
Brann lachte, hob das Glas hoch empor. »Für dich, Tungjii-Liebchen«, rief sie und kippte einen beträchtlichen Teil des Weins aus, lachte nochmals, als das Ausgekippte mitten aus der Luft verschwand, ehe es auf den Tisch spritzen konnte. Die kleine Gottheit war dafür bekannt, daß sie keinen Wein verschwendete. Brann sah zu, wie Jaril das gleiche machte, dann trank sie und stellte im selben Augenblick wie er das Glas mit einem Knall auf den Tisch.
»So, nun raus mit der Sprache.« Sie rückte die Kiste an den Tisch,
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