Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Wein, und schaute mißmutig zum Vorhang hinüber, der sich kräuselte, wo das geflickte Schafleder der Fenstergehänge sich wieder gelöst hatte. »Und was ist mit Yaro? Bist du der Ansicht, sie haben sie in dem Doulahar?«
»Falls sie dort ist, dann ist sie gegen meine Wahrnehmung abgeschirmt. Sie lebt, Brombeer. Zwischen uns besteht ein zu inniges inneres Band, als daß sie sterben könnte, ohne daß ich's spüre. Und wo sollten sie sie sonst festhalten?«
»Dann müssen wir irgendwie hineingelangen.« Brann strich sich über den Mund, betrachtete düsteren Blicks den bernsteingelben Wein, der an den Innenseiten des Kelchglases hinabrann, während sie es hin- und herschwenkte. »Ohne dabei aufzufallen.«
»Klar. Andernfalls fressen sie sie vielleicht auf, ehe wir was erreichen.«
»Also durch und durch raubgierige Geschöpfe.«
»Das ist vollauf mein Eindruck.«
»Ich glaube ... Ich bin der Ansicht, es empfiehlt sich, Maks zu Hilfe zu holen.« Brann stellte das Glas ab, schob die Kiste zurück, auf der sie saß, erhob sich. »Warte, ich hole die Rufmichs.« Gleich darauf kehrte sie mit einem Beutel aus weichem Leder ins Zimmer zurück. Sie klaubte einen der Kiesel heraus, legte ihn auf den Tisch. Es handelte sich um ein im Wasser geglättetes milchiges Quarzbröckchen, das im Lampenschein schimmerte. »Unterm Fuß zertreten, hat er gesagt. Willst du's tun, oder soll ich's machen?«
»Du bist diejenige mit dem höheren Gewicht, Brombeer.«
»So etwas sagt man nicht zu einer Frau, du Flegel.
Mmp. Am besten geh ich damit zur Tür. Maks braucht für sein Erscheinen gewiß reichlich Platz.« Sie hob den Blick, kaute auf der Lippe. »Und wahrscheinlich wird er sich den
Kopf droben an der Decke stoßen. Vielleicht sollte ich ins Freie gehen.«
»Andererseits vielleicht nicht. Wir wollen doch nicht die Nachbarn auf unser Treiben aufmerksam machen.«
»Besonders Jahira nicht. Ich könnte schwören, das Weib weiß von jedem Furz, der weit und breit ertönt. Tscha, er wird halt den Kopf einziehen müssen.« Brann nahm den Rufmich und ließ ihn fast fallen. »Huch, das Ding fühlt sich ja wie lebendig an.« Sie kauerte sich nieder, legte das Steinchen in der Nähe der Schwelle auf den Fußboden; sobald sie es an eine Stelle gerückt hatte, die sie befriedigte, richtete sie sich auf, setzte die Ferse darauf, zermalmte es zu Grus. Als sie spürte, wie es vollends zerfiel, sprang sie zurück. Aber nichts geschah.
»Maks? Settsimaksimin!« Nichts. Mit der Spitze ihrer Sandale scharrte Brann in den Überbleibseln. »Dafür werde ich dir dein schmutziges Fell abziehen, Maksi.« Sie riß die Tür auf, grabschte sich den Besen und fegte die glasartigen Körnchen in den Dreck der Gasse. Nachdem sie auch das klitzekleinste Restchen beseitigt hatte, schlug sie die Tür so laut zu, daß vermutlich das halbe Viertel aufwachte, und mit solcher Wucht, daß sie sich nicht schloß, sondern abprallte, wieder aufschwang. Brann beachtete es nicht. »Nun gut, Jay. Wir erledigend allein.«
Schaudern befiel Jarils Körper, verstärkte sich schlagartig zu Zuckungen. Er übergab sich, erbrach einen Großteil des Weins, den er getrunken hatte, wurde plötzlich zu Stein.
Brann fluchte, griff sich einen Wischlappen, tupfte sich Arme und Gesicht ab und schleuderte den Lappen mitten in die unversehens auf dem Tisch entstandene Sauerei. Sie stellte Jarils Stuhl gerade, nahm den warmen, von Pulsen erfüllten Stein, öffnete ihre Bluse. Den Jaril-Stein an den Busen gedrückt, zog sie sich mit dem Fuß den Stuhl heran, setzte sich und wartete.
Zeit verstrich. Brann begann zu verstehen, wie sehr sich Jaril fürchtete. Und sie konnte jetzt nachvollziehen, was er damit gemeint hatte, daß Aulis länger als Aetas brauchten, um sich zu erholen. Sie fing sich um ihn zu sorgen an; wenn er diesen Zustand nicht aus eigener Kraft überwand, wußte sie nicht, wie sie ihm heraushelfen könnte.
Doch schließlich zeichnete sich ein Erweichen des Kristalls ab. Er bewegte sich, fühlte sich wie ein Säugling an, der saugen wollte. Brann biß sich auf die Lippe. Aussichtslose Träume hatten keinen Sinn; sie war seit ihrem elften Lebensjahr vollständig unfruchtbar. Langsam, ganz langsam entwickelte Jaril wieder seine Jünglingsgestalt, bis er zuletzt auf Branns Schoß ruhte, sein Kopf zwischen ihren Brüsten. Am Ende schlug er die Augen auf, schaute Brann verdutzt an, erinnerte sich. Ruckartig stemmte er sich hoch, rutschte von ihrem Schoß, schwankte zur Tür
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