Brans Reise
in Weiß hüllen, und die Hirsche werden nach Westen ziehen. In der Felsenburg waren das die Zeiten der langen Abende. Da sammelten sich die Menschen in der Wärme, und alte, über den Sommer fast vergessene Geschichten wurden aufs Neue erzählt.
Er schüttelte die Erinnerungen ab und ging zu Dielans Zelt hinüber. Drinnen zog er die Stiefel aus. Dielan und Gwen schliefen, und das war ihm recht so. Er wollte jetzt mit niemandem sprechen. Er wollte warten, bis es dunkel wurde und Turvi sie zur Beratung rief. Dann werde ich hören, was sie zu sagen haben, dachte er. Und wenn sie mich gehen lassen, werde ich das tun. Doch wenn nicht, werde ich bei ihnen bleiben, und Tir wird niemals die meine werden. Dann schloss er die Augen und träumte von ihr.
Die Sonne stand tief über dem Meer, als Turvi die Arme hob und Brans Volk zur Beratung zusammenrief. Die Regenwolken waren fortgetrieben, und der Himmel leuchtete blau wie ein frisch geschmiedetes Kelsschwert.
»Hört!«, sagte der Einbeinige, als die Menschen um ihn herum zusammenliefen. »Hört, was ich euch zu sagen habe.«
»Wie ist es mit der Sklavin gegangen?«, fragte Nosser. »Hat sie Ja gesagt?«
Die Männer um ihn herum grinsten und zwinkerten sich zu.
»Wir sind in einem fremden Land mit fremden Bräuchen.« Turvi deutete den Hang empor, wo sich Visikals Turm über dem Wald erhob. »Und wir sind gezwungen, uns danach zu richten. Aber lasst Bran erzählen, worum man ihn gebeten hat. Wir werden dann darüber sprechen und entscheiden, was er tun soll.«
Bran hatte bei Turvis Worten vor dem Zelt gestanden, und jetzt drehten sich alle um und sahen ihn an. Er warf seinen Umhang ab und ging auf sie zu. Sie traten zur Seite, und er stellte sich neben Turvi.
»Ich bin kein guter Redner«, sagte er.
Die Männer lachten. »Wir wissen schon, worum es geht«, rief einer. »Wann sollen wir mit dem Fest beginnen?«
Bran schüttelte den Kopf. Er fühlte sich gefangen.
»Sprich zu deinem Bruder«, sagte Turvi, »dann geht es besser.«
Bran drehte sich um, bis er Dielan erblickte. Gwen stand mit Konvai in den Armen an seiner Seite.
»Visikal hat mich um etwas gebeten. Etwas, das ich tun muss, bevor sie die meine werden kann. Einen Tauschhandel.«
»Tauschhandel?« Linvi, Hagdars Frau, schob sich neben Dielan. »Sie ist keine Handelsware, Bran! Was will er für sie haben? Pelze vielleicht?«
»Nein, darum geht es nicht.« Bran wandte sich den anderen zu. Er wusste, dass er jetzt, da er zu seinem Volk sprach, stark wirken musste. »Visikal will keinen Reichtum. Er will, dass ich mit ihm in den Krieg ziehe.«
»In den Krieg?« Kai stellte seinen jüngsten Sohn, den er in den Armen gehalten hatte, auf den Boden. »Den Krieg, in den sie jetzt ziehen wollen? Aber gegen wen wollen sie kämpfen?«
»Wir lange wird das dauern?« Kaer sah beim Sprechen zu den Häusern und Straßen empor, die zum Hafen führten.
»Du könntest getötet werden!«, rief Nemni. Dann verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. Kuenn tröstete sie.
»Sie hat Recht«, sagte Hagdar. »Wir können nicht zulassen, dass du gehst. Du hast keinen Nachkommen.«
Da trat Velar vor. »Es ist jetzt Herbst.« Er deutete über das Meer. »Habt ihr den Sturm nicht wahrgenommen? Wir können hier erst im Frühling wieder aufbrechen.«
»Sag, was du denkst.« Hagdars Miene verfinsterte sich.
»Wenn dieses Volk bei diesem Wetter segeln kann, lasst Bran mit ihnen gehen. Lasst ihn für dieses Volk kämpfen, damit er die Sklavin bekommt! Wir können ohnehin nicht weiter, ehe es Frühling wird, und das dauert noch lange.«
Hagdar ballte die Faust. »Du wünschst dir doch bloß, dass er fällt, damit du selbst Häuptling werden kannst!«
Velar sah zu Boden und legte sich die Hand über die Augen. »Solche Verdächtigungen tun mir weh. Ich will nur, dass Bran die Frau bekommt, die er liebt.«
»Du lügst!« Hagdar trat zu ihm vor, dicht gefolgt von Dielan. »Und du verhöhnst Berav, der Bran auserwählt hat. Denk immer daran: Auch ich könnte Häuptling sein, denn auch ich habe geträumt.«
»Solche Streitereien gehören sich nicht für erwachsene Männer!« Turvi trennte sie mit seiner Krücke. »Wir wollen beraten, nicht kämpfen.«
Bran wusste nicht, was er glauben sollte. Meinte Velar es wirklich so, oder wollte er sich nur einen Weg bahnen, um selber Häuptling zu werden?
»Velar hat Recht«, sagte Nosser. »Solange wir hier bleiben, kommen wir ohne Häuptling zurecht. Ich habe mit
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