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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Jagd gewesen war. Er beugte sich ein kleines Stück vor, und seine Arme wurden schwer und stark. Die Menschen erschienen ihm jetzt wie Bäume, und sie… War sie die Beute?
    Unmittelbar vor den Hauswänden trat er aus der Menschenmenge und blieb wie ein Tier witternd stehen. Ihr warmer, fast süßer Duft lag in der Luft. Hier hatte er sie hinter der Häuserecke verschwinden sehen. Irgendwo hier… Er blickte in das Halbdunkel der schmalen Gasse. Hier wartete sie.
    Als er auf die Steinplatten trat, hallten seine Schritte von den steinernen Wänden wider. Er sah kurz zu dem Tang hoch, der wie Flechten vom Dachgebälk herabhing. Dann richtete er sich auf. Denn er begriff, dass dies hier keine Jagd war. Ihr Wille war das Einzige, was jetzt zählte, und wenn sie nicht die seine werden sollte, dann war das das Gebot der Götter. Götter, dachte er. Welche Götter?
    Bran lief zur ersten Kreuzung vor, schnupperte und folgte ihrem Geruch in Richtung Turmstraße. Die Häuser über ihm waren leer und schwarz, doch unterhalb des Turms hingen die Fackeln dicht an dicht.
    Als er die große Straße erreichte, überraschte ihn zuerst, dass er niemanden sah. Er hatte erwartet, hier auf Männer und Frauen zu treffen. Er hatte erwartet, sie zu sehen. Er blieb stehen und starrte auf die unzähligen Feuer an Hafen hinab. Er hatte Flöten und Trommeln gehört und den Gesang der Menschen, die vor den Langschiffen tanzten.
    »Bran.« Das war ihre Stimme.
    Sie trat aus dem Schatten oberhalb der Straße und winkte ihn zu sich. Aber sie lächelte nicht.
    »Ich habe mit Visikal gesprochen.« Bran blieb zwei Schritte vor ihr stehen. »Ich habe ihn gebeten…« Er hielt die Luft an, wandte den Blick von ihr ab und richtete ihn auf die Fackel, die in einem eisernen Gestell an der Hauswand brannte.
    »Ich weiß«, antwortete Tir. Dann drehte sie sich um und begann in Richtung Turm hinaufzugehen.
    Bran folgte ihr. Er wusste, welcher Turm das war. Es war Cernunnos Turm.
    Tir schwieg auf dem ganzen Weg. Der Wind riss an ihrem Kleid. Bran sah, wie der dünne Stoff ihren schmalen Rücken und die Schultern umfing, die beim Gehen leicht nach vorne gebeugt waren.
    Vor dem Tor des Turmes drehte Tir sich um. Ein Ring brennender Fackeln umgab die schweren Eichenbretter, und die Flammen spiegelten sich im Schwarz ihrer Augen.
    »Du hast einen Handel mit dem Bruder meines Vaters gemacht.« Sie legte eine Hand auf den Türgriff. »Du hast ihn gefragt, ob ich deine Frau werden kann.«
    Bran sah weg. Er beugte seinen Rücken im Wind und hörte, wie die Fackeln im Sturm fauchten.
    »Ich bin Cernunnos Frau«, sagte sie. »Ich habe gelobt, ihm zu dienen.«
    Bran nahm all seinen Mut zusammen und sah sie an. »Gib mir eine Antwort!«
    Tir trat einen Schritt zurück. »Lass uns in Sein Haus gehen. Lass uns beten.«
    »Wer ist Er?« Bran gefiel das nicht. Mit einem Mal schien er ihr nicht mehr vertrauen zu können und für sie wieder ein Fremder zu sein, ein Jäger aus den Bergen im Norden.
    »Cernunnos war einmal ein Krieger. Er entstammte einem Volk von Riesen, das heute ausgestorben ist. Sie wanderten über die ganze Welt und sahen die Länder auf der anderen Seite des Meeres. Cernunnos kämpfte in vielen Schlachten, doch schließlich, als sein Volk arm an Menschen und müde von all den Wunden geworden war, wurde ihm ein tödlicher Schlag versetzt und er schleppte seinen Körper über die Ebenen nach Osten.«
    Tir sprach mit geschlossenen Augen. »Aber der Tag wird kommen…« Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. »… an dem er wiedergeboren wird, wie es vorhergesagt worden ist.«
    Sie öffnete die Augen wieder. »Offne die Tür für mich.«
    Er tat, worum sie gebeten hatte. Das Tor war schwer und die Scharniere kreischten, als er es mit aller Kraft aufschob.
    »Komm«, sagte sie und verschwand nach drinnen. »Er wartet.«
    Bran warf einen letzten Blick auf den Hafen hinunter. Der Tanz war jetzt wilder geworden. Die Tirganer sprangen über das Feuer, und ihre Schwerter leuchteten wie weiße Blitze zwischen den Flammen. Er hörte das Lachen von Frauen und die Rufe von Männern. Das Feuer spiegelte sich in den Bronzetrommeln und die Flöten spielten.
    Er schob sich durch das Tor und trat auf die glatt geschliffenen Bodenplatten. Auch hier brannten Fackeln. Es war ein großer Saal, dessen Decke hoch über ihm im Dunkel verborgen lag, als sei es der Himmel selbst. Am Ende des Saals erkannte er die Umrisse zweier mächtiger Steinarme. Sie waren ihm mit nach oben

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