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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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unterhalb des Turmes herunter. Drei Stück an der Zahl, einer für jeden Skerg. Sie sollten Cernunnos Schutz den Skergen überbringen, denn schon vor langer Zeit hatten die Galuenen ihre Abscheu über die Kriegslust von Visikal und seinen Vorgängern verkündet.
    Sie schleppten ihre gebeugten Körper über den Hafen, vorbei an Weinschläuchen, Fässern und Krügen. Ylmer rümpfte die Nase über sie, denn er hatte ihre Rolle nie verstanden. »Cernunnos segnet mich mit dem Blut meiner Feinde«, pflegte er zu sagen. Und er bräuchte keine Alten, die für ihn beteten. Denn die Schriftgelehrten wollten jetzt beten, bis die Skerge wieder zurück nach Hause kamen. Das taten die Galuenen nicht.
    Die Schriftgelehrten kämpften sich über den Landgang auf das Deck des Schiffes. Ihre Gesichter waren in den Kapuzen versteckt. Nur die weißen Bärte und knochigen Hände, die zitternd den Knauf ihrer Stöcke umklammerten, verrieten, dass sich Menschen unter den Kutten verbargen. Als sie die Reling des Schiffes erreichten, blieben sie eine Weile stehen und sahen zum Deck des Schiffes hinunter. Die Schriftgelehrten steckten ihre Bärte zusammen und murmelten lange. Schließlich setzten sie sich auf die Kante, streckten ihre dünnen Beine nach unten und ließen sich herabgleiten. Sie klagten und murmelten noch mehr, als sie sich wieder aufrichteten, ihre Stöcke ergriffen und sich den Skergen zuwandten.
    »Wir grüßen euch, Kumber, Tere und Sembe!« Visikal streckte ihnen seinen Arm als Gruß entgegen.
    Die eine Kutte schlurfte zu ihm vor. Dann schob die Knochenhand die Kapuze zurück und entblößte ein Antlitz, das ebenso runzlig wie ein alter Apfel war. Die tief liegenden Augen des Mannes starrten Visikal unter buschigen Augenbrauen an.
    »Du warst immer schon ein unverschämter Lümmel«, sagte der Schriftgelehrte. »Genau wie dein Vater.«
    »Aber nicht deshalb kommen wir heute.« Der andere Schriftgelehrte sprach durch seine Kapuze.
    »Nein.« Der Dritte tauchte wie eine Schildkröte aus der seinen auf und offenbarte einen kahlen Schädel. »Wir sollen euch unseren Segen geben, unseren Segen!«
    »Unseren Segen«, nickte der Erste. »Ja.«
    Die drei Skerge sahen sich an. Ylmer hatte das erst einmal durchgemacht, als er als neu ernannter Skerg eingeschworen worden war.
    »Wir haben die Jahre gezählt!« Der erste Schriftgelehrte begann laut zu sprechen und zeigte auf ein Pergament, das aus der Tasche seiner Kutte herausragte. »Und wir haben unseren Segen bereits für die kommenden Generationen aufgezeichnet.« Mühsam entrollte er das Pergament. Seine Hände zitterten, und er musste sich die Haut dicht vor die Augen halten, um lesen zu können. »Deine Zeichen sind kaum zu entziffern.« Er wandte sich an den Alten mit den buschigen Augenbrauen. »Kumber, du wirst alt. Schau dir an, wie undeutlich deine Buchstaben sind!« Er reichte das Pergament an Kumber weiter, der sein Gesicht in unzählige Falten legte und die Augen zusammenkniff.
    »Ich werde lesen«, murmelte er. Dann räusperte sich der Schriftgelehrte und sah zu den Skergen auf, um sich zu vergewissern, dass sie zuhörten. »Wir segnen Visikal, Vare und Ylmer, auf dass ihr Kampf vom Glück begleitet wird. Und wir segnen alle eure Männer und bitten Cernunnos, ihnen Kraft zu geben.«
    Er rollte das Pergament zusammen und sah zu den Skergen auf, denn das Letzte konnte er auswendig. »So lasst Tirgas Schiffe heute, im Jahr 261 nach Cernunnos Fall und Auferstehung, aufbrechen.«
    Die Skerge senkten die Köpfe, und jeder der Schriftgelehrten legte ihnen die Hand auf die Stirn. Gleichzeitig erklang die erste Glocke von Tirgas zwölf Türmen. Sie weckte die Hähne in den Hinterhöfen und wurde gleich darauf von den anderen Glocken beantwortet. Die Bronzestimmen erhoben ihren Gesang über die Dächer der Stadt, drängten sich durch die Fensterläden und weckten die noch angetrunkenen Männer. Die Skerge rührten sich noch immer nicht. Sie sahen zu, wie sich die Schriftgelehrten abmühten, auf den Landgang zu kommen, und nicht einmal Vare machte Anstalten, ihnen zu helfen. Denn die Schriftgelehrten waren heilig und durften weder berührt noch angesprochen werden. So waren die Sitten; die Schriftgelehrten sollten in Frieden gelassen werden, damit ihre Augen und Gedanken klar blieben. Dann sahen Visikal, Vare und Ylmer zur Stadt hinauf. Die ersten Männer waren bereits auf den Straßen. Sie hatten sich die runden Schilde auf den Rücken gebunden, die Schiffssäcke geschultert,

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