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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Wenn sich das Meer zurückzog, erkannte er den Tang, der in der Sonne glänzte; das waren die Stellen, an denen sich die Gestalten erhoben. Er nahm an, es seien Steine, doch er musste auch an die Kinländer denken, von denen der Vogelmann erzählt hatte. Karain hatte von einem Volk gesprochen, das auf einer Insel im Süden lebte, und von dem Handel, den sie mit Manannan, dem Gott des Meeres, eingegangen waren. Bran konnte diese Geschichte nicht glauben, denn Berav war der einzige Gott des Meeres. Doch Karain hatte gesagt, dieses Volk sei einen Handel mit Manannan eingegangen. Eine Kriegsflotte habe sich ihrer Insel genähert, und die Kinländer hätten gewusst, dass sie den Kampf verlieren würden, und so habe Manannan sie verwandelt, auf dass sie in der Tiefe des Meeres herumschwimmen und dort leben konnten.
     
    Die Wellen beruhigten sich im Laufe des Tages. Sie hatten keine Kraft mehr, mit den Langschiffen zu kämpfen, sondern glitten schwer unter den Bootskörpern hindurch. Bran und Hagdar verbrachten den Rest des Tages an Deck und dösten, den Rücken an die Reling gelehnt. Die Stelle, an der sich die Wellen brachen, verschwand weit hinter dem Achtersteven, und sie schlossen die Augen und lauschten den Rudern und dem Meer. Manchmal richtete Bran sich auf und warf einen Blick zurück. Die Langschiffe lagen wie ein Fächer auf dem Meer. Nun war er selbst einer der Krieger der Kinländersage geworden, denn eine mächtige Flotte war aus Tirga losgesegelt. Zehn und fünf Schiffe hatte er gezählt. Lange grübelte er darüber nach, wie viele Männer sie trugen. Sein eigenes Schiff beherbergte vier mal zehn Männer. Wie Vosnabar, Nosnavar und Kengber waren ihm zehn Mann unterstellt. Er vermochte aber nicht auszurechnen, wie viele Männer das insgesamt waren. So etwas war ihm immer schwer gefallen. Wie ein Flächenbrand würden sie über Aard hereinbrechen und mit ihren unzähligen Füßen die Leichen in den Boden trampeln.
     
    Kurz vor Sonnenuntergang bat Visikal Nosnavar, das Ruder zu übernehmen. Er kletterte durch die Luke nach unten, kam aber gleich darauf mit einer Doppelaxt in den Händen zurück. Die Schneiden hatten die Blaufärbung von frisch geschliffenem Eisen, doch der Rest der Axt schimmerte grünlich.
    »Das ist die Bronzeaxt«, flüsterte Nangor. Er kroch von seinem Platz am Bugsteven und zog sich die Stiefel an. »Es heißt, Visikal halte sie nur, wenn er sich sicher sei, dass sie Blut trinken würde.«
    Bran gefiel das nicht. Der Skerg stellte sich breitbeinig mitten auf das Deck, und die Männer richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn.
    »Er wird doch nicht einen seiner eigenen Männer töten?« Hagdar fasste sich an den Bart.
    Nangor hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. Visikal hob die Axt über seinen Kopf. Die Männer verstummten.
    »Cernunnos will nicht, dass wir auf Fa Ton landen.« Visikal ließ die Axt sinken und sah sich um. »Er peitscht diese Wellen an, damit wir weiterziehen und nicht bei den Knochen unserer Verwandten verweilen. Er will keine Tränen sehen, sondern Blut!«
    Die Tirganer waren noch immer still. Visikal begann, an der Reling entlangzugehen. Er betrachtete jeden seiner Männer, zeigte mit der Axt auf sie und nannte ihre Namen. Als er Bran erreichte, legte er die flache Seite seiner Axt an sein Kinn und schloss die Augen.
    »Die Bronzeaxt braucht Blut«, sagte er. »Sie dürstet, wie ich auch weiß, dass du dürstest. Sehnst du dich nicht danach, deine Frau zu rächen, Bran?«
    Bran schluckte. Visikal legte die Axt auf seine Stirn und sagte ein paar unverständliche Worte, bevor er sie wieder wegnahm. Dann ging er zum Mast zurück und kniete nieder. Er senkte den Kopf und umklammerte mit beiden Händen den Kopf der Axt.
    »Ich bitte dich, der du das Geweih trägst, um Kriegsglück für meine Männer. Lass das Blut, das ich dir jetzt gebe, mein Opfer sein.« Mit einem Ruck führte er seine Hände über die Schneiden der Axt. »Sieh mich an, wenn ich kämpfe, damit du beurteilen kannst, ob ich deines Heeres würdig bin. Sieh meine Krieger an und halte ihnen einen Platz an deiner Feuerstelle frei.«
    Visikal umklammerte den Stiel der Axt. Seine Finger waren rot. Bran empfand keine Abscheu, denn es lag etwas Schönes in diesem Gebet. Zum ersten Mal zeigte Visikal Zeichen der Unsicherheit. Er war kein Halbgott, sondern ein Mensch wie Bran selbst.
    »Die Bronzeaxt ist das Zeichen dafür, dass Visikal der oberste Skerg von Tirga ist.« Nangor beugte sich zu Hagdar und Bran vor.

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