Brasilien: Ein Land der Zukunft
nicht gefährlich ist – , hatte mir wenig zu sagen: wie man die Giftschlangen dort aus ihren Höhlen holt, mit Stangengriffen faßt und den Wehrlosen das Gift auszieht. Dies hatte ich vor Jahren schon in Indien gesehen, und jedesmal ist es mir gräßlich, wenn der Mensch aus der Wehrlosigkeit eines überwältigten Tieres ein Schaustück oder eine Unterhaltung formt. Aber längst ist die Anstalt von Butantan über die ursprüngliche Absicht hinausgewachsen, einzig der Beobachtung der Schlangen und der Erzeugung von Heilserum gegen die vielen Giftbisse zu dienen; sie hat sich in den letzten Jahren zu einem Forschungsinstitut größten Stils entwickelt, in dem mit den modernsten Apparaten die hervorragendsten Fachleute arbeiten; ich habe in dieser einen Stunde, da mir die verschiedenen Versuche der Umpflanzungen, der chemischen Zerlegungen erklärt wurden, mehr gelernt als in Jahren durch Bücher; immer ist für uns Laien die sinnlich optische Arbeit an dem Objekt die einzige, die uns den abstrakten Problemen am ehesten begrifflich entgegenführt. Und weil es eben das Sinnliche, das Optische ist, das mir immer am stärksten die Phantasie in Erregung setzt, so hat mich nichts dort so beeindruckt als eine einzige mittelgroße Flasche, mit kleinen weißlichen Kristallen gefüllt: es ist das Gift von achtzigtausend Schlangen, das da in konzentriertester kristallisierter Form in dieser Flasche bewahrt ist, und das furchtbarste aller Gifte. Jedes dieser kaum wahrnehmbaren Körnchen, deren jedes unter dem Fingernagel spurlos verschwinden würde, kann leicht in einer Sekunde einen Menschen töten. Tausendfacher als in den riesigsten Granaten ist die Vernichtung in dieser einzigartigen, furchtbaren, dieser unersetzbaren Flasche zusammengedrückt, ein Wunder, größer als in jenem berühmten Märchen aus Tausendundeine Nacht – nie hatte ich den Tod in so konzentrierter Form gesehen und hunderttausendfach in Händen gehabt wie in der Minute, da ich dieses kühle und zerbrechliche Glas umspannte. Dieses Unfaßbare der möglichen Zerstörung eines ganzen atmenden Menschenwesens in einer Sekunde mit allen seinen Gedanken und Erfahrungen, das plötzliche Stocken eines Herzens und aller Muskeln, nur weil ein Körnchen, viel winziger als ein Salzkorn, ihm ins Innere dringt, und diese Möglichkeit – bei einem einzigen Lebewesen schon unfaßbar – nun verhunderttausendfacht nebeneinander zu sehen, hatte etwas Erschütterndes und zugleich Großartiges. Alle die Apparate dieses Laboratoriums wurden mir mit einemmal zu Kräften, die der Natur das Gefährlichste wie im Spiel entwinden, um es nun in einem neuen, einem eigenen schöpferischen Sinn der Natur zu nützen, und mit Ehrfurcht sah ich plötzlich auf dies kleine Haus, das vom Wind umflogen einsam in der Grüne eines Hügels ruht, umfaßt von Natur und sie doch noch gewaltiger umfassend durch den menschlichen, unermüdlichen Geist.
Besuch beim Kaffee
Freundliche Sitte wie jedwede in diesem gastfreien Land: besucht man in Brasilien ein Haus, so wird einem zu jeder Stunde des Tages Kaffee angeboten, köstlicher schwarzer Kaffee in kleinen Tassen, es ist hier eine Selbstverständlichkeit. Man trinkt ihn auf andere Art als bei uns – oder vielmehr, man trinkt ihn eigentlich gar nicht, sondern stülpt ihn mit einem einzigen scharfen Ruck hinunter wie einen Likör, ganz heiß, so heiß, daß, wie man hierzulande sagt, ein Hund heulend davonlaufen würde, wenn man ein paar Tropfen auf ihn schüttete. Wie viele solcher schwarzduftender, glühender Tassen ein Brasilianer durchschnittlich im Tage konsumiert, dürfte statistisch kaum festzustellen sein – ich nehme an, zwischen zehn und zwanzig – , und ebenso schwer wäre es, apodiktisch zu entscheiden, in welcher Stadt er am besten mundet. Mit homerischem Eifer fordern hier alle Orte den Ruhm der vorzüglichsten, der richtigsten Zubereitung für sich, und so habe ich ihn unparteilich mit gleicher Begeisterung getrunken in den kleinen Kaffeehäusern in Rio, wo die Tasse zweihundert Reis kostet (ein in unseren Währungen kaum münzbarer Betrag), und in der Fazenda selbst und in Santos, der Kaffeestadt, und sogar im Instituto do Café in São Paulo, wo seine richtige Zubereitung geradezu zur Wissenschaft erhoben wird und ich nach genommenem Kurs einen Sack Kaffee und die richtigste Kaffeemaschine zur weiteren Ausübung mitbekam – überall, an allen Stellen war er gleich zauberhaft, würzig, stark und nervenbelebend, ein
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