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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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den Lippen. Sie vögelten nur noch selten, so wie ein reiches Paar nur selten den Tresorraum seiner Bank aufsucht; aber wenn sie es taten, fanden sie ihren Schatz noch vor, und er schien jedesmal verändert, so als wäre die Kassette in ihrer Abwesenheit durchgeschüttelt worden.
    Isabels Leben war immer ausgefüllt, obwohl es ihr schwergefallen wäre, zu sagen, womit. Sie gab ihrer Haushaltshilfe Anweisungen und ihren Kindern mütterliche Wärme, wenn sie ihr vom Kindermädchen in den Schuluniformen oder im Schlafanzug vorgeführt wurden. Sie legte die Speisenfolge für Tristãos Abendmahlzeiten fest und kontrollierte hinter den faulen und schlampigen Putzfrauen her – eine nach der anderen nur nordestinas –, die ihre Arbeit sonst empörend nachlässig verrichtet oder es im Geräteschuppen mit dem jungen Gartengehilfen getrieben hätten. Sie ging Kleider einkaufen, bei Fiorucci oder Huis Clos, und bereitete die Reisen vor, die sie mit Tristão in ausländische Metropolen unternahm. Sie spielte Tennis, wie er, obwohl ihr das Match weniger wichtig war als das anschließende Zusammensitzen und Mittagessen und Klatschgeschichten austauschen mit ihren Partnerinnen, an kleinen Terrassentischen unter Sonnenschirmen im angeschwitzten weißen Dreß, die Baumwolljacken gefällig um die Schultern drapiert, so daß die nackten Arme gut zur Geltung kamen.
    Doch der reiche Müßiggang im Stil von Onkel Donaciano kam zusehends aus der Mode. Die Männer, selbst wenn sie Geld im Überfluß besaßen, arbeiteten, und jüngere Frauen als Isabel arbeiteten ebenfalls. Es war schick geworden, zu arbeiten. Für sie kam das alles ein wenig spät. Ihr Studium war in kitzelnden Gesprächen über die Revolution vertan worden. Ihre eigentliche Universität war der Mato Grosso gewesen, wo sie gelernt hatte, in einer Welt zu überleben, die inzwischen untergegangen war. Ihre Vergangenheit war ein süßes Geheimnis, und ihre neuen Freunde fragten nie, wo sie ausgebildet worden war oder was für ein Leben sie vor ihrer Eheschließung mit Tristão geführt hatte. Sie nahmen an, daß sie sich aus den Slums bis in die oberste Mittelschicht hinaufgeschlafen hatte. Ihre blauen Augen erhöhten ihre gesellschaftliche Attraktivität, obwohl es dessen gar nicht bedurft hätte. Da den Portugiesen die abergläubische Angst der Nordeuropäer vor allem Schwarzen fremd war, hatten sie Afrika nie verachtet. Der Brasilianer verachtet nur die ungeheuere Armut der Schwarzen und die Kriminalität, die sie im Gefolge hat. Mit ihren glänzenden Manieren und ihrer prickelnden Lebendigkeit vermittelte Isabel den anderen ein Gefühl des Stolzes auf eine Gesellschaft, die solche Ornamente aus schwarzem Ebenholz zu schnitzen versteht. Sie begann, Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren, und ihr Bild erschien oft in den Zeitungen, ein Rudel dunklerer Rasterpunkte unter den überwiegenden hellen. Alle liebten sie – liebten sie beide für ihre mustergültige Treue in einer Welt, in der alles Festgefügte bröckelt, alles Heilige verhöhnt wird und die Gier alles von innen zersetzt und ganze Firmen und Konzerne aushöhlt, bis sie, wie der Kadaver eines Wasserschweins, dessen Innereien unbemerkt von gefräßigem Ungeziefer verschlungen worden sind, eines Tages zerplatzen und nur noch eine übelriechende Wolke von ihnen zurückbleibt. Die Inflation, die wieder galoppierte, näherte sich der Tausend-Prozent-Marke. Die Allmächtigen hatten Brasiliens Zukunft an die internationalen Bankenkonsortien verkauft und den Gewinn in ihre eigenen Taschen geleitet.
    In all diesen Jahren gab es für Tristão und Isabel Beförderungen im Betrieb, Renovierungen im Haus, kleinere gesundheitliche Krisen, ein oder zwei Autounfälle, Urlaubsreisen und das unaufhaltsame Heranwachsen von Bartolomeu, Aluísio und Afrodísia an den vornehmen katholischen Schulen, die sie besuchten. Und es gab einen Todesfall: Isabels Vater starb an Arteriosklerose und Herzmuskelschwäche, für die seine Überarbeitung und die dauernde Belastung seines Körpers durch den Streß der vielen Auslandsreisen die Ursachen waren. Schon seit einigen Jahren hatte er körperlich und geistig nachgelassen. Daß er einen Komiker mit Rastazöpfen als Hausdiener eingestellt hatte, war ein erstes Anzeichen seines Verfalls gewesen. All das Wissen, das er in seinem überfüllten Hirn gespeichert hatte, die Sprachen und die Protokolle und die Feinheiten vergangener Intrigen, hatte sich am Ende heillos verwirrt. In seinem

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