Brasilien
Hüften baumeln würde. Ihr befriedigtes Lächeln war von einer zielstrebigen Geschäftigkeit weggewischt worden. Wenn sie schnell wieder an ihren Standplatz auf der Avenida Cásper Libero kam, konnte sie vor dem Morgengrauen vielleicht noch einen weiteren Freier abschleppen.
Als er sie bezahlte, fragte er: «Kannst du mir sagen, ehe wir uns trennen, wo ich um diese Zeit ein Paar Schuhe kaufen kann? Wie du siehst, kann ich sie mir leisten – ich war nur zu einem überstürzten Aufbruch gezwungen. Und außerdem eine kleine Krabbenpastete – meine gewohnte Frühstücksstunde naht.» Warum fühlte sich Tristão jetzt, da sie sich beide wieder angezogen hatten, so befangen gegenüber dieser dicklichen Hure? Er spürte, daß sie für ihr Leben weniger Illusionen brauchte als er. Stromlinienförmig wie ein Fisch im Wasser glitt sie durch diese dreckige Welt, während er sich seinen Weg erkämpfen mußte, behindert und gefesselt vom Gefühl, eine Aufgabe zu haben, für eine besondere Bestimmung aufgehoben zu sein.
«In Sachen Krabbenpastete kann ich dir eine Imbißbude gleich beim Jardim da Luz empfehlen, aber was die Schuhe angeht, wirst du dich wohl bis zum Morgen gedulden müssen. Gefalle ich dir noch? Glaubst du, deine Liebste hätte was dagegen, daß du mich gefickt und mit meinen Nippeln gespielt hast?»
«Sie würde es im richtigen Verhältnis sehen», vermutete Tristão. «Sie ist eine Realistin, wie du.»
Nachdem sich Tristão und Odete für immer verabschiedet hatten und er zu der hell erleuchteten, dreieckigen Imbißbude gegangen war, wo der verschlafene Verkäufer keine empadinhas de camarão, sondern nur ranzig riechende Geflügelpasteten anzubieten hatte, schleppte er seinen Rucksack weiter nach Norden, durch den Bezirk Bom Retiro mit seinen verbarrikadierten Läden, über denen unleserliche Schilder in einer flammenförmigen, zerbröckelnden und verblassenden Schrift hingen, bis zum Busbahnhof vor der Bahnstation Sorocabana. Aus den Portalen ergoß sich ein ungesundes, elektrisches Licht in das Morgengrauen. Drinnen lagen Hunderte von Schläfern ausgestreckt zwischen ihren Bündeln, ihren Papageienkäfigen und Schweinen, deren Mäuler mit Streifen von kariertem Stoff zugebunden waren. Der ganze Bahnhof war eine feuchte Schnauze, behaftet mit allen Gerüchen des Hinterlands, die an den Rand der Metropole stupste. Die moderige Dunstglocke menschlichen Schlafs lag schwer über dem Boden. Freilaufende Hühner mit hektisch zuckenden Köpfen hockten auf den Rückenlehnen von Plastikstühlen, auf denen Betrunkene ihren Rausch ausschliefen. Kleinbauern und Hinterwäldler, die caipiras, kampierten in jedem Winkel, unter den Treppen, hinter den Schließfächern. An den Wänden reihten sich ihre improvisierten Nachtlager auf: Was dem flüchtigen Blick als ein Haufen Abfall in der Ecke erschien, entpuppte sich als die Schlafstatt von aneinander gedrängten Menschen, die sich mit Kartons und Plastikmüll bedeckt hatten, um sich vor dem grellen, flackernden Neonlicht zu schützen. Jetzt, da die Morgendämmerung in die Bahnhofshalle gekrochen kam, begannen Hähne in ihren Käfigen zu krähen, und kleine Kinder in zerlumpten Kleidern, die ihnen kaum bis an die Nabeltrichter ihrer angeschwollenen Bäuche reichten, krabbelten auf der Suche nach einem Platz zum Pipimachen kreuz und quer herum und fragten mit großen Augen, warum sie auf der Welt waren.
Nach längerer Suche entdeckte Tristão im Labyrinth des Busbahnhofs den Schalter, an dem er eine Fahrkarte nach Brasília kaufen konnte. Er öffnete in zwei Stunden, und die Schlange der Wartenden war schon lang. Handelsvertreter in zerknitterten Anzügen und Studenten mit Che-Guevara-Sweatshirts, Ponyschwanzfrisuren und Sandalen mischten sich in ihr mit armen caboclos und sertanejos, deren Kleidung, von gelbem Staub starrend, an Pyjamas erinnerte. Sie waren aus den Provinzen nach São Paulo gekommen wie halbverhungerte Hunde, die von dem ausgeweideten Kadaver eines Ochsen angelockt werden, aber selbst sie blickten noch auf den barfüßigen schwarzen Jungen in der Badehose herab, und mehrere drängten sich vor ihm in die Warteschlange, bis Tristão mit ein paar barschen Worten seine Kampfbereitschaft signalisierte.
Er steckte den Fahrschein nach Brasília in die Innentasche mit der Rasierklinge und entdeckte in einem anderen Stockwerk des Busbahnhofs ein Sportgeschäft, wo er für den dreifachen Preis dessen, was ihn der Sex mit Odete gekostet hatte, ein paar weiße
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