Brasilien
zerbrochenen Spiegel angrinste.
«Ich weiß genau, daß ich dir gefalle», sagte das Mädchen. «Ich heiße Odete.»
«Du gefällst mir, aber mein Herz gehört einer anderen. Ich bin unterwegs, um sie vor den Allmächtigen zu retten.»
«Wenn sie deine Liebe erwidert, wird sie nichts dagegen haben, daß ich dir einen blase. Es kostet dich nur zehn neue Cruzeiros.»
Die Summe entsprach ungefähr dem Preis einer kleinen Krabbenpastete, einer empadinha de camarão, auf die er genausoviel Appetit hatte. «Und wo würden wir hingehen?» erkundigte er sich.
«Eine Straße weiter ist ein sauberes Hotel. Dort kennen sie mich, und sie nehmen von Arbeitern einen fairen Preis.» Das Mädchen spürte offensichtlich, daß sein zerfetztes Hemd und seine bloßen Füße nicht die ganze Wahrheit über ihn verrieten. Im Hotel sagte sie, daß er für ihren Mund zu groß sei, also müsse er sie ficken, was nur zehn weitere neue Cruzeiros kosten solle, dazu den Preis des Kondoms. Puritanisch streng wollte Tristão auf das Kondom verzichten, aber Odete meinte, es sei um seinet-, nicht um ihretwillen, denn schlechte Mädchen wie sie lebten ohnehin nicht lange. Da gab es so viele Krankheiten, und der Streß und die langen Nächte waren ohne Drogen gar nicht zu ertragen, und dann gab es noch die Wahnsinnigen, die eine Hure nur so zum Spaß umbrachten.
«Wenn das so ist, warum …» begann er zu fragen.
«Warum ich mich nicht gleich umbringe?» Wenn sie lächelte, schälten sich ihre Lippen von den Zähnen wie bei einer aufplatzenden Frucht, in der die kleinen, runden Samenkörner sichtbar werden. «Besser ein kurzes Leben als gar keins. Selbst das längste Leben kommt dir kurz vor, wenn du auf dem Sterbebett liegst.»
«Meine Mutter», fühlte Tristão sich gezwungen, ihr zu offenbaren, «ist eine Hure.»
Odetes gezupfte Augenbrauen wölbten sich zu perfekten Parabeln der Überraschung über ihren zimtbraunen Augen. «Und? Haßt du sie dafür?»
Daß keine Liebe zwischen ihnen ausgerufen war, machte das Gespräch mit diesem Mädchen leichter als mit Isabel. «Ich empfinde gar nichts dabei», bekannte er. «Genau das hat sie mir beigebracht – nichts für sie zu empfinden.»
«Ach nein, wir empfinden immer etwas für unsere Mütter», sagte Odete. «Wir wollen uns nur einreden, daß es nichts wäre.»
Er wollte ihr erzählen, wie Isabel vorgespiegelt hatte, Liebe für seine Mutter, die keiner lieben konnte, zu empfinden, aber es schien ihm zu kompliziert, das zu erklären, und überdies war es aufdringlich und peinlich zugleich. Obwohl er sie noch nicht gevögelt hatte, fühlte sich Tristão von seiner neuen Bekanntschaft schon ein wenig gelangweilt. All diese Mädchen, die immer wieder in seinem Leben auftauchten und bereit waren, sich ficken zu lassen, zeigten ihm nur, wie anfechtbar und eigensinnig die vollkommene Liebe war, die er und Isabel miteinander teilten. Liebe, so sah er, gab es überall, und sie löste keine Probleme, nein, sie schuf nur neue. Die Männer, die mittags auf den Straßen von São Paulo ihren hektischen Geschäften nachgingen, lagen jetzt, um drei Uhr nachts, in ihren Betten und waren nicht mit Liebe beschäftigt. Tristão schauderte bei dem Gedanken, wie leicht sich jede Sicherheit im Leben, außer der des steten Niedergangs zum Tod, seinem Zugriff entziehen konnte. Er klammerte sich an sein Bild von Isabel, das der einzige Silberstreif in einer dunklen Zukunft war.
Trotzdem fickte er Odete. Zuerst, auf ihren Vorschlag hin, nahm er sie von hinten, ihre Arschbacken hochgereckt wie glatte Kuppeln aus poliertem Zedernholz, und dann ritt sie auf ihm, während er sich mit mehreren Kissen im Rücken gegen das Kopfteil des Bettes lehnte, das von den fettigen Haaren vieler Köpfe glänzte, und mit den Lippen an dem linken Nippel und dem dunklen Hof mit der Gänsehaut zupfte, wann immer ihre Brust gegen sein Gesicht schlug. Sie flog auf und nieder, Zylinder für seinen Kolben, aber er hatte Schwierigkeiten, in der kalten Umklammerung des Kondoms zu kommen. Als es ihm endlich mit einem Aufbäumen und Wimmern gelungen war, lächelte sie mit professioneller Befriedigung. Sie hob sich von seinem abschwellenden Schwanz, und er hörte ein leises, schmatzendes Geräusch unter dem Busch aus dichtem lockigem Haar, das so rötlich überstäubt war wie das Haar auf seinem Kopf.
Anders als Isabel war Odete von gedrungener Gestalt, mit dicken Beinen und einem Bauch, der in wenigen Jahren wie eine Hängematte von ihren
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