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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Tennisschuhe erstand. Sie wirkten wie unförmige Knüppel, wie leuchtende Kähne an seinen schlanken Fesseln, erwiesen sich aber dank ihrer schaumigen Sohlen als ungeahnt bequem. Die Busfahrt nach Brasília dauerte fünfzehn Stunden, und bis Belo Horizonte mußte er im Mittelgang stehen.

13. Die Eisdiele
    Isabel und ihre Freunde verbrachten die Abende oft in einer Eisdiele, der Sorveteria Jânio Quadros, die nach einem längst dahingeschmolzenen Präsidenten von Brasilien benannt war. Manche Präsidenten dieses Landes hatten Amt und Würden hingeschmissen, andere hatten sich eine Kugel durch den Kopf gejagt, um ihre Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen, und wieder andere waren von den Militärs gestürzt worden, um den USA eine Freude zu machen – nur einer, Kubitschek, hatte zu Isabels Lebzeiten eine volle Amtszeit durchgestanden und dem Land als Denkmal den Wasserkopf Brasília und die Inflation hinterlassen. Die Wände der Eisdiele waren mit Postern von Brigitte Bardot und Fidel Castro geschmückt, Zwischenwände gaben jeder Gruppe von vier oder fünf oder (enger zusammengerückt) sechs oder sieben Gästen das Gefühl, sich in ihrer Nische einer verschwörerischen Diskretion zu erfreuen. Der blaue Rauch der Zigaretten – Continental, Hollywood und Luis XV waren die bevorzugten Marken – hing so undurchdringlich in der Luft wie der Geruch nach Schlaf und Pisse in dem Busbahnhof, den Tristão achtzehn Stunden zuvor durchquert hatte. In der Mitte des Raumes prunkte eine marmorne Theke mit den chromblitzenden Apparaturen – den Düsen und Pumpen und Hebeln und Rohren –, die für Eisbecher und Mixgetränke und den teerig-bitteren Espresso, den die Brasilianer lieben, benötigt wurden.
    «Sarte ist bloß ein einäugiger Clown und ein Pädophiler», verkündete Sylvio, einer von Isabels Kommilitonen, an diesem Abend, «aber Cohn-Bendit wird de Gaulle zur Strecke bringen, genau wie’s Jerry Rubin mit Johnson gemacht hat und wie Dubček das Ende von Breschnew bedeutet.» Außerhalb Brasiliens war die ganze Welt im Umbruch, die Jugend schien die Macht zu übernehmen, und Isabels Bekanntenkreis von Söhnen und Töchtern der Elite war so aufgeregt wie Fußballfans auf der Tribüne, wenn der Führungstreffer fällt. Sylvio, dessen Vater ein großer fazendeiro in Bahia war, demonstrierte seine Radikalität dadurch, daß er den teuren Zigaretten der Marke Minister abschwor und jetzt Mistura Fina rauchte, das kratzende Kraut der Werktätigen.
    «Breschnew kann einen Sozialismus mit einem menschlichen Antlitz niemals zulassen», hielt Nestor Villar auf der anderen Seite der verqualmten Nische dagegen. Er war hager und asketisch, der Sohn eines Obersten und bekennender Anarchist, weit jenseits der tatenlosen Zimperlichkeit der Linken. «Wenn der Sozialismus ein menschliches Antlitz bekäme, würde er verschwinden – plopps, puff! Die Diktatur des Proletariats kann sich keine menschlichen Untertanen leisten – was sie braucht, sind Roboter unten und Monster ganz oben.» Speichel quoll ihm aus den Mundwinkeln, während er sprach, und verwandelte sich in ekelerregende weiße Bläschen. Isabel hatte – es lag schon etliche Trimester zurück – ein paarmal mit Nestor geschlafen, aber sein Schwanz war dünn, mit trübselig blauen Adern und einem alarmierend hellroten Sack, und er forderte zuviel entfremdete Arbeit von ihr, bis er endlich stand. Sie hatte die Beziehung abgebrochen und seine politischen Überzeugungen zum Vorwand genommen. Denn er hatte mehr vom väterlichen Faschismus aufgesogen, als ihm bewußt war, und seine sogenannte Anarchie sah einem militärischen Rundumschlag zum Verwechseln ähnlich. Deine Anarchie, hatte Isabel ihm zu erklären versucht, schafft weiter nichts als freie Bahn für Plünderer und Ausbeuter; wenn es eine Nation auf dieser Welt gibt, die auf ein Ideal der Anarchie verzichten kann, dann dieses anarchische Brasilien, dessen Flagge mit einer solchen Sehnsucht Fortschritt und Ordnung an das südliche Firmament schreibt.
    «In den Vereinigten Staaten», meldete sich wieder Sylvio zu Wort, der seinen Blick durch den Dunst von Zigaretten und Kaffee und die säuerlichen Schwaden von schmelzendem Speiseeis hindurch, die aus karavellenförmigen, schweren Glasschalen aufstiegen, starr auf Isabel gerichtet hielt, «haben die Schwarzen ganz Washington in Schutt und Asche gelegt, als Martin King ermordet worden war. Genauso in Chicago und in Baltimore. Das Ende naht für die lilienweißen

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