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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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für Narben schwarze Haut war, die anders als weiße Haut niemals vergißt, sondern sich an jeden Kratzer und an jede Blase mit einem Fleck erinnert, der für immer stumpf und grau bleibt, so wie Kreide auf einer flüchtig abgewischten schwarzen Schiefertafel.

14. Unter den Sternen
    Draußen auf den nächtlichen Straßen stemmten sich die Lichter der Stadt gegen die alles überwölbende Leere. Restaurants, in denen wäßrige canja de galinha serviert wurde, und Bars, aus welchen das scharfe, verurteilende Gelächter der Jugend drang, warfen Lichtquadrate auf den Bürgersteig; darüber türmten sich rechteckige, erhellte Fenster, als wollten sie die Sterne übertrumpfen und ersticken. Isabel trug ein rosenrotes Strickhemd mit kurzen Ärmeln und hatte für den Fall, daß die Nacht kühl wurde, ein Sweatshirt um die Hüften geschlungen, auf dem die Dornenkrone der Catedral Nacional aufgedruckt war. Als sie ihre Schritte beschleunigte, um mit Tristão mitzuhalten, verlieh das wehende Sweatshirt ihren Hüften einen beiläufigen, provozierenden Schwung. Seine ungeschlachten weißen Tennisschuhe blitzten vor ihnen auf, wenn er in eine Lichtpfütze trat. Andere Passanten warfen ihnen kurze Blicke zu; sie waren ein ungleiches Paar, aber ganz Brasilien war von ungleichen Paaren bevölkert worden.
    Als ihr die Luft knapp zu werden begann, wagte sie es, seinen Arm zu berühren, um ihn zu einem gemäßigteren Tempo anzuhalten. Verblüfft von der Eisenhärte seines Bizeps, schreckte ihre Hand zurück. Ja, er war älter geworden, seine Muskeln waren straffer, seine Gesichtszüge eine Spur hagerer, mit einer ersten Andeutung, wie sie von der Seite sah, einer Falte in den Mundwinkeln, die früher nicht dagewesen war. Sie fühlte sich mitgerissen, befeuert und zugleich gehetzt, als wäre die Zeit um eine Ecke gebogen und raste jetzt einen Abhang hinunter.
    «Ja, ich habe gearbeitet», erklärte er ihr. «Zwei Jahre lang haben sie mich Haltebolzen für Motoren festziehen lassen, in der fusca -Fabrik. Selbst in meinen Träumen hab ich sie noch festgezogen. Ich wollte von dir träumen, Isabel, aber von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht habe ich mehr von deinem Gesicht, von deiner Stimme verloren. Ich habe rebelliert und meinem Bruder das Gesicht zerschnitten, um freizukommen.»
    «Und jetzt stehe ich vor dir», sagte Isabel mit gespielter Fröhlichkeit, legte ihre weiße Hand auf seinen eisenharten Arm und drehte ihn mitsamt dem orangeroten Buckel seines Rucksacks herum, um ihn mit langsameren Schritten in eine Richtung zu lenken, wo die Lichter abseits einer sanften Biegung des Eixo Rodoviário Norte spärlicher wurden. «Magst du mich noch?»
    Ihr liebes, gewölbtes Äffchengesicht, leuchtend hell von der Blässe studentischen Schlafmangels, strahlte jetzt eine zarte Zerbrechlichkeit aus, als vertrockne es unter der Last des Lebens. «Faß mich an, dann wirst du es sehen», erwiderte er.
    «Hier auf der Straße? Du bist verrückt, Tristão.» Doch der Gedanke machte einen feuchten Fleck im Schritt ihres Bikinislips unter dem Jeansrock.
    «Schämst du dich, mit mir gesehen zu werden? Ich bin aus dem Haus meines Bruders in den Sachen geflohen, die ich normalerweise zum Schlafen anziehe. Deshalb sehe ich so schäbig aus. Aber ich bin keineswegs mittel los – im Rucksack habe ich das Ersparte aus zwei Arbeitsjahren.»
    «Nie werde ich etwas anderes als Liebe fühlen, wenn ich bei dir bin», sagte sie, und während sie Seite an Seite weitergingen, strich sie mit der Hand über seinen Hosenschlitz, unter dem sich seine Yamswurzel zu regen begonnen hatte.
    «Wir müssen ficken, und wir müssen reden», sagte er.
    «Ja. Geh weiter, mein Lieber. Bald finden wir einen Platz.»
    Sie hatten die meisten Lichter der Stadt hinter sich gelassen und kamen an Trauben von Arbeitern vorbei, die auf ihre Busse warteten, um hinaus zu ihren meilenweit im Busch gelegenen Barackensiedlungen zu fahren. Wie Schaumkronen auf einem nächtlichen Ozean blieben ihre hellen Hemden in der Dunkelheit zurück. Jetzt schimmerten, wenn keine Autoscheinwerfer vorüberkamen, nur noch seine Tennisschuhe und ihr schwingendes Sweatshirt, ihr platinblondes Haar in der Finsternis. Der Bürgersteig endete. Die vierspurige Schnellstraße hatte einen Grünstreifen, der so breit war wie ein ganzer Häuserblock. Sie gingen auf ihm weiter, und Isabel konnte durch ihre Sandalen hindurch das leise Prickeln von Tautropfen spüren, die aus der immer klarer und kristalliner werdenden Kuppel

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