Brasilien
Zehen, worauf er ein lautes Geschrei anstimmte, dem seine Schwester mit einem mitfühlenden Schluchzen aus ihrem Säuglingsbettchen sekundierte – einer Lattenkiste, in der die Stiele für Spitzhacken geliefert worden waren und die jetzt auf Ziegelsteinen aufgebockt stand, zum Schutz vor Schlangen und vor den roten Ameisen.
Isabel nahm ihren weinenden Sohn in die Arme. «Wir haben schwere Jahre hinter uns», sagte sie zu Tristão, «die auch an unserer Liebe nicht spurlos vorübergegangen sind, aber wir konnten uns hier wenigstens sicher fühlen, wir waren unauffindbar. Ich habe Angst, daß uns dieser Goldklumpen ans Licht zerren wird.»
«Du machst dir zu viele Sorgen, Liebling, das ist dein bürgerliches Erbteil. Morgen werde ich das Nugget zum Schätzer der Kooperative bringen. Wenn mir sein Angebot zu niedrig vorkommen sollte, dann gibt es immer noch die Schwarzhändler, die sich überall herumtreiben. Sie können mehr bieten, weil sie die acht Prozent für die Regierung nicht bezahlen – sie schmuggeln das Gold über die Grenze nach Bolivien, und die Indios helfen ihnen dabei.» Solche Geheimtips machten im menschlichen Bienenstock der Serra do Buraco schnell die Runde: Wie das Gold in Adern und winzigen Nestern die Gesteinsmassen durchsetzte, so zog es sich auch durch die Gedanken und Gespräche der Digger.
Isabel sollte mit ihren Ahnungen recht behalten. Zwar gelang es Tristão, sein Nugget unbemerkt bis ins Büro des Schätzers zu bringen – von dort jedoch breitete sich die Nachricht von dem gewaltigen Fund in Windeseile aus. Zusammen mit der Bank der Kooperative und dem Steueramt der Regierung befand sich die Schätzstelle im einzigen Steinbau der regellosen Bretterstadt. Über dem Dach wehte die besternte Nationalflagge Brasiliens, und genau gegenüber lag das Leichenhaus, in dem tagtäglich die neuesten Produkte der Messerstechereien, Grubenunglücke, Lungenentzündungen und der Raubüberfälle angeliefert wurden, die die Straßen rund um die Serra do Buraco unsicher machten. Der Schätzer, ein magerer, gelblicher Mann, der einen schwarzen Anzug und einen Zelluloidkragen trug und das Portugiesische mit dem müden Zungenschlag der alten Heimat aussprach, schnalzte anerkennend mit der Zunge und lispelte, nachdem er seine Listen konsultiert und erläutert hatte, daß eine exakte Wertermittlung erst nach dem Einschmelzen und der Raffination möglich sei, einen Betrag in der Größenordnung von Hunderttausenden von neuen Cruzeiros. «Und hinssu kommt einss, mein Herr – der Wert wird umsso größer, je ssneller die Inflassion den Crusseiro auffrißt.» Versonnen blickte Tristão sein Nugget an. Es kam ihm über Nacht verändert vor, nicht mehr wie ein urzeitliches Idol in Menschengestalt, dessen Augen an Mondkrater erinnerten, sondern mehr wie eine verhutzelte Kartoffel. Er ließ es in der Obhut der Bank und hatte, als er die Quittung entgegennahm, das deutliche Gefühl, daß er seinen himmlischen Goldklumpen, diese Botschaft aus einer anderen Welt, niemals wiedersehen würde.
Während der Nacht hatte es in Strömen geregnet; die Hänge und die ausgetretenen Rampen hatten sich in Schlammstürze verwandelt. Als er in die Nähe seines Claims kam, bemerkte er eine ganze Traube von Männern, die sich dort eingefunden hatten. Auf all den vernachlässigten Claims in der Umgebung des seinen wurde plötzlich gearbeitet. Braune Rücken beugten sich eifrig über das Gestein, dem das Hörensagen neuen Reiz verliehen hatte, und zwei der Gonzaga-Brüder kamen gerade aus Tristãos Schacht geklettert. Noch ehe er sie zur Rede stellen konnte, gingen sie auf ihn los.
«Du Räuber!» brüllte der ältere, kleinere der beiden, der Aquiles hieß. «Wir haben nachgesehen und alles ausgemessen – du hast unseren Claim angebohrt und ausgehöhlt! Dein Nugget gehört uns!»
«Wilderer wie du», sagte der jüngere und größere namens Ismael, «sollten gevierteilt und aufgehängt werden, zur Warnung für alle garimpeiros !»
«Ich war bestimmt noch innerhalb der Grenzen meines Claims», beharrte Tristão, auch wenn er sich, im Gedanken an das Glitzern, an das hektische, seitliche Hacken und an die Empfindung eines unkeuschen Eindringens in einen Bezirk der Intimität die heimliche Frage stellte, ob er nicht doch eine Grenze überschritten hatte. Ein Beweis war nicht mehr zu erbringen, denn selbst er konnte nicht sagen, von welchem exakten Punkt des ausgehöhlten Steins er das Nugget losgebrochen hatte.
«Wir werden die
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