Brasilien
Zufriedenheit entledigt, erteilte ich, nachdem ich meinen Männern eine Nacht des Prassens und des Ungestüms gewährt hatte, den Befehl zum Weiterziehen, wobei wir alles mit uns führten, was an Viktualien übrig war, und so die Indios dazu bewegten, uns zu folgen und die Stärke unserer Gesellschaft zu vermehren. Wie José dir schon berichtet hat, teuerste Isabel, grassierte unter diesen Wilden eine wahre Sterbsucht, sei es, daß sie an Gebrechen dahinsiechten, gegen die ihr Körper keine Hilfe wußte, oder daß sie zu stark dem Schnaps zusprachen, den ihnen meine Männer in ihrem Übermut aufnötigten, oder daß sie starr und stumm wurden vor lauter Staunen – vor schierem, heidnischem Unverständnis für alles, was wir taten. Wenn wir des Goldes erwähnten, entwarfen sie vor unseren Augen das Bild ganzer Städte, aus purem Gold erbaut, die sich gleich hinter der nächsten Bergkette befinden sollten, so als wollten sie uns so schnell wie möglich außer Sichtweite wissen, und in gleicher Weise beschworen sie uns Städte aus puren Diamanten, wenn wir von diesen Edelsteinen sprachen. Niemals aber gelangten wir an ein Ende dieser Wildnis. Regenzeiten folgten auf Trockenzeiten, blaue Flüsse folgten auf braune Flüsse, und doch gelangte unsere Gesellschaft, die unter dem Kreuz des Südens nach Norden strebte, an kein Ziel.»
«Wie lange ist dies alles her, Gebieter? Wie viele Regen- und Trockenzeiten hat Eure Reise gesehen?»
«Ich kann’s nicht sagen, liebes Kind. Die weißen Nebel der Ferne wehen mitten durch meinen Kopf.»
So lange sie auch festgesessen haben mochten in diesem Dorf, so unwandelbar befeuerte die Hoffnung, seinen Beutezug eines Tages fortzusetzen, ihres Herrn und Meisters Hirn und versetzte seine Schnurrbartspitzen in eine zitternde Erregung, die sich zuweilen auch seinen ältlichen und launischen Lenden mitteilte – die Hoffnung, jenen Madeira-Fluß zu erreichen, dessen kerngesunde und begierig der Bekehrung zur Brasilianischen Lebensart harrende Anwohner ihm zu rauhen Mengen in die Netze gehen und seine Fazenda in der heimatlichen terra roxa von São Paulo in ein irdisches Paradies verwandeln würden.
Wenn sie ihren teilnahmslosen Sohn an die Brust legte und in seinem blutleeren Gesicht kaum genügend Kraft und Instinkt zum Saugen sah, mußte Isabel weinen und weinte noch mehr, wenn sie an Tristão dachte, ihren stolzen Geliebten, der mit Ketten an die unmögliche Aufgabe gefesselt war, mit einem stumpfen Beil eine ganze Flotte von breitbäuchigen Pirogen aus einem Wald von Stämmen zu höhlen. Denn die Indianer, die sich vor seiner Ankunft lustlos dieser Aufgabe gewidmet hatten, fanden sie jetzt unter ihrer Würde und konzentrierten ihr Pflichtgefühl darauf, den schwarzen Sklaven mit Peitschenhieben zu schnellerer Arbeit anzutreiben.
Ianopamoko hatte Mitleid mit Isabel. Eine schwesterliche Liebe hatte sich zwischen den beiden entwickelt und auch eine gemeinsame Sprache, in der sich Ianopamokos dürftiges Portugiesisch mit den Worten ihrer Indianersprache mischte – die alle auf die scharf betonten Silben zip, zep, pep, set, tap und kat endeten –, welche Isabel nach und nach erlernte.
«Weißt du denn», fragte Ianopamoko sie eines Tages, als das schlappe Kind von Antônios launischen Lenden schon über ein Jahr alt war, «daß die Magie noch existiert? Die Eindringlinge haben unseren alten Pakt mit den Geistern noch nicht ganz zerrissen. Noch gibt es ferne, abgeschiedene Orte, wo die» – sie gebrauchte ein Wort, das zep endete und die Portugiesen als «jene, die den Darm des Gürteltiers fressen», beschimpfte – «ihren giftigen Fußabdruck noch nicht hinterlassen haben. Ich weiß von einem Schamanen, siebzehn Tagesmärsche weit im Westen, dem es vielleicht gelingt –»
«Tristão zu befreien?» fragte Isabel begierig.
Ianopamoko zögerte; die kleine Zuckung einer Stirnfalte lief durch das blaue Spitzenmuster ihrer Gesichtsbemalung. «Ich wollte sagen: dem es vielleicht gelingt, deinem Kind ein Hirn zu geben, wie es die anderen Kinder haben.»
«Ach, ja?» Isabel versuchte, so interessiert zu wirken, wie sie es als Mutter sollte. Doch als ehemalige Studentin in Brasília, die auch Kurse in Psychologie belegt hatte, wußte sie genau, daß ein Gehirn mit seinen Milliarden von vernetzten Nervenzellen nicht leicht einzupflanzen war. Auch hatte Salomãos Geistesschwäche, seine Weigerung, mit dem Krabbeln und auch nur den einfachsten Formen des Sprechens zu beginnen, ihre Gefühle
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