Brasilien
auf Tristão zurückgelenkt. Sein Fluch war stärker gewesen als der Name ihres Vaters und der Samen ihres Gebieters, und so dienten ihr die Defekte des Kindes als heimliches Bindeglied zu dem afrikanischen Sklaven, dessen unermüdliche, wütende Axthiebe das Dorf vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang mit Trommelschlag erfüllten.
«Die Magie», erklärte Ianopamoko behutsam, wie um die Kluft zu überbrücken, die sie zwischen ihrer beider Prioritäten spürte, «hat ihre Gesetze und ihre Grenzen, genau wie die Natur, aus der sie stammt. Um nehmen zu können, müssen wir geben. Wenn der denkende Geist in dein Kind hineinfahren soll, ist es möglich, daß du dafür von deinem eigenen, denkenden Geist abgeben mußt, genauso wie du deinem Kind im Mutterleib von der Nahrung abgegeben hast, die dein Mund verzehrte.»
«Ich bin bereit, ein Stück von mir zu opfern», sagte Isabel mit der gleichen Offenheit und Zuwendung, wie sie die andere Frau zeigte. «Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich danach weniger intelligent sein soll. Ich wäre nicht mehr ich selbst.»
«Die Reise zu dem Schamanen ist weit und nicht ohne Gefahr. Auch ist er nicht unsterblich. Er ist sehr alt und sehr betrübt, weil er das Schicksal und die Zukunft seines Volkes sieht.»
«Wenn er über die wahre Macht gebietet», fragte Isabel, «warum hat er dann die Flut von Tod und Unterdrückung nicht von euch abgewendet, die mit den Europäern gekommen ist?»
«Magie kann sich nicht auf das Allgemeine richten», erklärte Ianopamoko, nicht im geringsten ungeduldig, «sie kann nicht» – und dieses lange Wort endete auf die Silbe tap – « politisch sein. Ihr Schauplatz ist die Seele des einzelnen Menschen, nicht ein Land oder ein Volk. Einer muß hingehen mit seinem Anliegen, und Regeln müssen eingehalten werden, und es muß Folgen geben, deren man sich nie ganz sicher sein kann. Wie in der Natur – man bekommt nichts geschenkt. Für viele Indianer» – das Wort, das auf kat endete, bedeutete, wörtlich übersetzt, soviel wie «ehrbare Menschen; jene, die nicht ehrlos und unrein sind» – «ist die Magie zu anstrengend geworden. Der Schamane wird gemieden und hat kaum noch Kundschaft. Aber für dich, die unter uns erschienen ist wie durch Zauberei und deren Kummer die stumme Tiefe eines Banns hat, scheint mir der Weg der Magie der richtige zu sein.»
«Du würdest mich begleiten, Ianopamoko?»
«Ja. Ich müßte dich begleiten. Du würdest sonst niemals dorthin gelangen.»
«Warum das, mein Liebling?»
Die schlanke junge Frau wandte ihr Gesicht ab, um die Blöße, die sie sich geben würde, nicht der Verletzung durch einen Blick auszusetzen. Ihre ziemlich kurzen Haare waren mit einer Mischung aus Baumharz und Asche zur Form einer umgekehrten Schüssel modelliert worden. Was sie in ihrer komplizierten, schnatternden Sprache sagte, bedeutete soviel wie: «Ich liebe dich.»
Die beiläufigen Berührungen, jede so leicht wie das Abstreifen von samtigem, kakaobraunem Blütenstaub an goldbehaarten Bienenbeinen, mit denen die frühere Hauptfrau Isabel im Haushalt des bandeira- Hauptmanns willkommen geheißen hatte, waren im Verlauf der vielen Nächte zu längeren, bewußteren Liebkosungen geworden, stets vor aller Augen ausgeführt mit der Unschuld einer Rasse, für die Nacktheit die normale Kleidung war. Wenn das verspielte Schmusen hin und wieder einen heimlichen Schauder, ein feuchtes Glücksgefühl zwischen den Schenkeln und einen bebenden Wunsch hervorrief, mit ihrer Antwort an die Grenzen aller fleischlichen Geheimnisse zu gehen, so fiel davon kein Schatten auf Isabels Herz, das so prekär in Schwebe gehalten wurde zwischen zwei Liebhabern, von denen der eine ältlich und der andere gefesselt war. Ja, die beiden Frauen liebten einander, und sie verliehen dieser Liebe körperlichen Ausdruck.
«Und Salomão?» fragte sie. «Müssen wir ihn mitnehmen? Die Reise könnte den armen Schwächling töten.»
Ianopamoko antwortete mit feierlichem Ernst: «Du hast recht. Er muß hierbleiben. Nur du und ich werden gehen. Takwame und ihre Töchter können sich um Salomão kümmern. Sie werden ihm einen nahrhaften Brei aus Maniokmehl und Bananen einflößen. Deine Milch ist ohnehin am Versiegen, und besonders gutgetan hat sie deinem Sohn ja auch nicht.» Hörte Isabel einen vorwurfsvollen Unterton in der Stimme der anderen Frau? Was wußte dieses winzige, sepiabraune Frauenwesen, das selbst nicht größer als ein Kind war, denn schon von
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