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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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sabbernden, fauligen Grinsen und lachenden Lauten der Verblüffung den Zickzackflug von etwas Unsichtbarem verfolgte, von dem er glaubte, daß es im Etui eingesperrt gewesen sei. Das Geschenk war akzeptiert. Nach diesem langen Palaver wurden Isabel und Ianopamoko an den steilen Felswänden entlang nach oben geführt, auf einem rutschigen Saumpfad mit Haarnadelkurven, der sich mehrere Male hinter dem Schleier eines Wasserfalls hindurchschlängelte, in dessen Sprühnebeln, die sie prickelnd auf ihrer Haut spürten, winzige Regenbogen von Libellengröße aufblitzten.
    Auf dem Hochplateau duckten sich ein paar holzgeflochtene, mit Lehm verschmierte Rundhütten in den Wind, umgeben von einer Vegetation, wie sie Isabel noch nie gesehen hatte – stumpfe, stachelige, knorrige, wie von Juwelen glitzernde Gewächse, die so aussahen, als wären sie aus Korallengärten am Grund einer Lagune hierher verpflanzt worden. Sie hatten ihre Wurzeln in die Spalten eines Lavabodens gekrallt, der überall von gezackten Rissen durchzogen war. Isabel ging auf diesem Untergrund wie auf einer Zyklopentreppe aus verkeilten Stufen oder auf hochkant stehenden Brotlaiben. Der Stein war aschgrau, gebacken in einem Feuer, das älter war als der Ozean. Als sie die Blicke hob, sah sie in weiter Ferne etwas, das sie in Reise- oder Modemagazinen oder Büchern, aber noch nie in Wirklichkeit gesehen hatte: Schnee, ein reines Weiß auf den Gipfeln von Bergen, die in der Entfernung so blau wirkten wie die Unterseiten von Wolken. Sie hatte bei den Nonnen genug von Geographie gelernt, um zu wissen, daß es sich hier um die Ausläufer der Anden handeln mußte und daß irgendwo zwischen ihr und diesen Bergen die Grenze lag, wo Brasilien nun tatsächlich endete.
    Obwohl sie drei Jahre unter Indianern zugebracht und einiges von ihrer Sprache und ihren Bräuchen aufgeschnappt hatte, erschienen sie ihr immer noch so unverständlich wie launische Kinder, von einer Unberechenbarkeit, in der sich halsstarrige Schüchternheit und verborgene Sehnsüchte mischten. War man in ihrer Hand, so wirkte die Distanz gering, die Ergebenheit von Mord trennte – ein Funken konnte sie leicht überspringen. Es war eine ganz andere Welt, erfüllt von übersinnlicher Spannung, die hinter ihren mandelförmigen Augen und den verstümmelten Lippen begann. Diese Siedlung auf dem Hochplateau des Tafelbergs war wie die Klausur eines Klosters, das sich aus dem Grasland und den Wäldern am Fuße des Berges ernährte und ganz auf den Schamanen in seiner niedrigen, ovalen Hütte ausgerichtet war. Für Isabel hatten religiöse Orte immer Sicherheit ausgestrahlt – hier jedoch, an diesem Angelpunkt einer unsichtbaren Spiritualität, lief sie Gefahr, tödlichen Anstoß zu erregen. Sie hatte Angst, als sie zu ihrer ersten Audienz bei dem Schamanen aufbrach.
    Seine Hütte glich in ihrer runden Form und der Beschaffenheit der Wände dem Nest eines Töpfervogels, und sie war so niedrig, daß Isabel nur auf allen vieren hineinkriechen konnte. Beißender Rauch trieb ihr Tränen in die Augen. Im Widerschein eines träge flackernden Feuers, das von den dürren Ästen der hier oben wachsenden Büsche und von trockenen Moosklumpen genährt wurde, die mit einer blauen Flamme brannten, erkannte sie allmählich einen kleinen, nackten Mann in einer Hängematte, die gleich hinter dem Feuer aufgespannt war. Sein Körper und der angeschwollene Bauch waren glatt, aber sein Kopf war ganz erstaunlich verwittert; vielleicht trug auch der hohe Kopfschmuck aus Papageienfedern dazu bei, daß er so winzig wirkte. Alle Kopf- und Schläfenhaare, Wimpern und Augenbrauen waren sorgfältig ausgezupft, nur über den hervorstechenden Ohren durften zwei lange, schlohweiße Strähnen herauswachsen wie glatte, schmale Zusatzfedern. Um die Fußknöchel trug er Ketten aus großen, dreieckigen, getrockneten Nüssen, und in einer Hand hielt er einen ausgehöhlten Kürbis von der Größe eines Straußeneis, den er schüttelte, sobald er eine seiner Äußerungen unterstreichen wollte.
    Als der Schamane sie bemerkte, schloß er die Augen und schüttelte seine Maraca, als wollte er den Anblick bannen. Obwohl sie die Gewohnheit angenommen hatte, nackt zu gehen wie die Indianer, hatte sie sich für diesen Anlaß eine Art Sarong um die Hüften geschlungen, der ihr sonst zum Schutz vor Dornen und stechenden Insekten beim Nahrungsammeln in der Wildnis für Antônios Haushalt diente und aus dem marineblauen Seidenkleid mit roten Blümchen

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