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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Mutterschaft, von ihren toten Winkeln und der unvermeidlichen Abstumpfung? Obwohl Ianopamoko geraume Zeit Antônios Lieblingsfrau gewesen war, war sie doch unfruchtbar geblieben, in ihrem tiefsten Inneren unerreichbar für männliche Reize.

23. Das Hochplateau
    Der Wald im Westen jenseits des Flusses (den sie am Morgen ihrer Flucht mit einer der kleinen Pirogen überquerten, die die Fischer des Dorfes am Ufer vertäut hatten), verdiente es wahrhaftig, Urwald genannt zu werden – selva, oder auch mata. Aus der männlichen Welt des großen mato, der sonnenverbrannten, struppigen Savanne, wechselten sie in den dämmerigen, üppigen, weiblichen Dschungel hinüber. Schmale Pfade, die Isabels ungeübte Augen rasch verloren hätten, schlängelten sich in eine Welt aus grünen Schatten, die prall waren von Blüten und Früchten. Der Trompetenruf des jacu und das Kreischen und Rascheln unsichtbar bleibender Klammeraffen begleiteten ihren Weg durch das flackernde Helldunkel dieses dichten Gewebes, durch dessen höchsten Blätterbaldachin das Sonnenlicht nur in schmalen, von flimmerndem Insektenstaub erfüllten Säulen herunterdrang. Zwischen den gleichförmig glatten, grauen Baumstämmen, die von Schlingpflanzen umwunden und von hohen Brettwurzeln gestützt himmelwärts strebten, war die Vegetation am Boden nur spärlich. Stundenlang gingen die beiden Frauen auf einem braunen Teppich aus welken Samenhülsen und Palmwedeln wie über die unebenen Grabplatten einer düsteren, menschenleeren Kathedrale, die vom süßlichen Weihrauchgeruch der Fäulnis erfüllt war. Kastanien und Paranüsse regneten auf sie nieder, wenn Ianopamoko ihren hübschen Körper an einem Stamm emporschob und die Äste schüttelte. Vom ersten Morgendämmer bis zum Sonnenuntergang barfuß unterwegs, stärkten sich die Frauen mit den kirschgroßen, purpurroten Früchten der aracá, die nach Terpentin riechen und den Speichel im Mund prickeln lassen; und mit ingá- Schoten, die mit einem fiederigen, süßen Flaum gefüllt sind; und mit wilden Ananas, deren Fleisch voll großer, schwarzer Kerne steckt und nach Himbeeren schmeckt; und mit Birnen vom bacuri- Baum und mit jener noch größeren Delikatesse namens açai, die über Nacht zu einer Art von fruchtiger Dickmilch gerinnt. Alle diese Köstlichkeiten hingen wie in einem menschenleeren Garten Eden an den Bäumen und warteten auf niemand anderen als sie. Die Schöpfung schien noch jung hier, und ihre Formen waren tastend und verspielt; wie so mancher Künstler hatte Gott seine besten und verblüffendsten Effekte früh erzielt.
    Nachts schliefen die beiden Frauen in einem gemeinsamen Kokon aus Moskitonetzen, aus dem sie sich morgens herausschälten wie zwei feuchte Schmetterlinge. Sie schmiegten sich immer enger aneinander, je beißender die Kühle der Nacht wurde. Denn ihr Weg durch die grün überwölbte Einsamkeit führte stetig nach oben, bis sich am sechzehnten Tag hügelige Wiesen mit mannshohen Gräsern um sie öffneten, die in unregelmäßigen Terrassen, von flirrenden Windschlägen überzogen, zu den Felswänden eines Tafelbergs hinaufführten, über die sich eine Reihe von schmalen Wasserfällen ihren glitzernden Weg bahnten. Breite, mit Algen und Moos bewachsene Bänder umrahmten diese Tränenspuren auf dem Antlitz der Natur, die stellenweise nicht von frei zutage liegenden Quarzadern zu unterscheiden waren. Im hohen Gras begegneten ihnen mehrere Indianer, die sie voller Argwohn und in einer Sprache, die Ianopamoko nur mühsam verstand, begrüßten. Sie starrten Isabel an, als wäre sie kein menschliches Wesen. Ianopamokos Stimme schnatterte eindringlich und endlos, erklärte, flehte, forderte. An einem Punkt der Verhandlung nahm sie Isabels lange, schimmernde Haare in beide Hände, als wolle sie sie wiegen, an einem anderen rubbelte sie heftig mit angefeuchteten Fingern über Isabels Haut, um zu demonstrieren, daß deren Blässe nicht aufgemalt war.
    «Sie haben das Gefühl, daß sie ein großes Risiko eingehen», erläuterte sie schließlich. «Sie wollen, daß wir einen Tribut entrichten.»
    «Wir haben das Kreuz und das Zigarettenetui dabei», sagte Isabel. «Das Kreuz sparen wir auf. Biete ihnen das Etui an.»
    Onkel Donacianos verschnörkelt eingraviertes Monogramm verschwand unter dem zernarbten, umbrabraunen, vom geduldigen Handwerk des Dschungeldaseins verbreiterten Daumen des Wortführers, der das Etui auf- und zuschnappen ließ und jedesmal, wenn sich der Deckel öffnete, mit einem

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