Brasilien
angefertigt worden war, das sie nichtsahnend für den Besuch in Chiquinhos Haus in São Paulo angezogen hatte, bei einer anderen Gelegenheit, bei der sie gut aussehen wollte.
«Maira», begrüßte sie der Schamane. «Wer bist du? Warum störst du meinen Frieden?»
Ianopamoko übersetzte seine Worte in ihr und Isabels gemeinsames Kauderwelsch, und sie mußte den Schamanen oft um eine Wiederholung bitten, da er nicht nur einen fremdartigen Dialekt sprach, sondern auch völlig zahnlos war und mehrere polierte Steine aus Jadeit in seiner Unterlippe stecken hatte, was seine Aussprache undeutlich machte. «Maira», erläuterte sie Isabel, «ist ihr Name für einen Propheten, so wie Jesus bei den Portugiesen. Er hat noch niemals einen Menschen von deiner Farbe gesehen, mit Haaren wie Sonnenlicht. Die weißen Männer haben sich in diesem Teil der Welt noch nicht gezeigt.»
Isabel erinnerte sich, wie Tristão voller Verachtung «deine Leute» gesagt hatte, was vielleicht der Anfang ihrer Suche nach einem Wunder gewesen war. «Ich bin kein Prophet. Ich bin eine Frau in Verzweiflung, die die Hilfe deiner Magie erbittet», sagte sie.
Ianopamoko übersetzte, und der Schamane legte die Stirn in Falten und murmelte und unterbrach sich mehrfach mit ärgerlichem, langem Rasseln der Maraca. «Er sagt», flüsterte Ianopamoko, «daß die Magie Männersache ist. Frauen sind Schmutz und Wasser, Männer sind Luft und Feuer. Frauen sind – dieses Wort verstehe ich nicht ganz, ich glaube, es heißt ‹unrein›, aber es hat auch eine Bedeutung wie ‹knifflige Angelegenheit›.»
Dann sprach sie direkt und ausführlicher zu dem Schamanen und erklärte Isabel: «Ich habe ihm gesagt, daß du wegen deines kleinen Sohnes hergekommen bist, dessen Vater so alt war, daß das Kind nicht die Hitze eines normalen Menschen in sich hat.»
«Nein», protestierte Isabel, «ich bin nicht wegen Salomão hergekommen, sondern um Tristão zu helfen, meinem Mann!»
Der Schamane blickte von einer Frau zur anderen; er spürte ihre Meinungsverschiedenheit und schwenkte angewidert seine Maraca, während ihm durch ein Loch in der Unterlippe, wo einer der Jadestöpsel herausgefallen war, der Speichel vor den Mund trat. Schließlich sprach er, ohne die Stimme zu erheben, was beide Frauen zwang, sich nach vorn zu beugen, näher zu der schaukelnden Hängematte.
Ianopamoko übersetzte flüsternd und nervös: «Er mag mich nicht, weil ich eine Frau von seiner Rasse bin. Er sagt es nicht, aber ich spüre es. Ich glaube, er meint, daß du die Seele eines Mannes hättest, und deshalb ist er bereit, mit dir zu sprechen, aber nur ohne mich.»
«Aber ich kann nicht mit ihm sprechen! Laß mich nicht mit ihm allein!»
«Herrin, ich muß. Ich errege seinen Unwillen. Der Zauber kann nicht wirken, solange ich bei dir bin.» Sie hatte sich bereits erhoben, auf ihre schönen, seidigen Beine, während der Schamane weiter murmelte und gestikulierte, daß ihm der Schaum von den Lippen troff und sein kunstvoller Federschmuck zitterte. «Er verlangt», erläuterte Ianopamoko, «nach cauim , nach petum und nach jagé .»
Petum, so stellte Isabel fest, war ein Tabak mit einem seltsamen Aroma, und bei cauim handelte es sich um eine Art Bier, das nach Cashewnüssen schmeckte. Der Schamane war beeindruckt, wie mannhaft sie, als wäre sie zurückversetzt in ihre Studententage in Brasília, dem Bier zusprach und aus einer langen Pfeife, die er ihr immer wieder reichte, den Tabak inhalierte. Er schien sehr darauf zu achten, daß er ihr den Rauch beim Ausatmen genau ins Gesicht blies, und als sie begriff, daß dies ein Ausdruck von Höflichkeit war, blies sie ihren Rauch zu ihm zurück. Ein Glanz begann sich über ihr Gesichtsfeld zu legen, funkelnde Lichtreflexe erschienen hier und da im lehmigen Mutterleib der Hütte, und ihr ging auf, daß die Pfeife mehr enthalten mußte als nur Tabak. Vielleicht war es yagé, was dem Tabak zugesetzt worden war. Der alte Schamane mit dem nackten Jungenkörper, dessen Penis in einem fein geflochtenen Futteral aus Stroh steckte, aus dem vorn, durch einen schmalen Ring gezogen, die Vorhaut herausquoll wie eine ockerbraune, verschrumpelte Kaktusblüte, lag schweigend da und betrachtete sie versonnen und mit wachsender Zufriedenheit. Die ganze Zeit schon hatte sie, ihm genau gegenüber, breitbeinig vor dem Feuer gehockt – eine Haltung, die ihren Bändern und Sehnen in all diesen Jahren unter Wilden und bandeirantes vertraut und angenehm geworden war,
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