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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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in der ihr Sarong die Geschlechtsteile aber nicht bedecken konnte. Warum sollte man die Geschlechtsteile aber auch bedecken? Waren sie es nicht, die dem Leben seine Höhepunkte schenkten und ihm die Richtung wiesen zu seiner endgültigen Bestimmung? Vielleicht war es der Rausch, der ihr diese Überlegungen eingab.
    Als der Schamane endlich wieder das Wort ergriff, konnte sie ihn, wie durch ein Wunder, verstehen. Manche seiner gemurmelten Worte leuchteten wie Fackeln heraus, flammend vor Bedeutung, und der Sinn der Sätze schlängelte sich durch die dunklen Räume dazwischen. Irgend etwas im Rauch hatte die Schranke zwischen ihren Gedanken weggebrannt.
    Er sagte ihr, daß sie das Herz eines Mannes hätte.
    «O nein!» protestierte sie und faßte sich, da ihr die Worte fehlten, mit den Händen unter die Brüste und hob sie leicht an.
    Er wedelte mit der Hand durch die Rauchwolken und schüttelte mit der anderen hektisch seine Maraca. Er sagte, daß sie ihr Kind nicht geheilt haben wolle. Wie könne das sein?
    Sie hatte nicht die Worte, um ihm zu sagen, daß ihr Kind sie mit Scham erfüllte, daß sie es abstoßend fand. Also ahmte sie Salomãos erbärmlichen, schlaffen Gesichtsausdruck nach, seine Augen ohne Glanz. Sie sagte das Wort für «Mann» – das voller abgehackter Laute war und auf zep endete – und schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust und rief: «Tristão!»
    «Tristão vögelt dich», war seine Antwort.
    «Ja», sagte sie, «aber nicht mehr seit drei Jahren», wobei sie mit ihren Fingern geschickt eine Fessel um ihren nackten Knöchel andeutete. «Er ist von bösen Menschen zum Sklaven gemacht worden», ergänzte sie und war in ihrer Benommenheit stolz auf diesen langen Satz. «Er ist schwarz.» Weil sie fürchtete, daß dies nicht klargeworden sein könnte, zeichnete sie seinen schlanken Umriß in die Luft und hielt ein verkohltes Holzstück hoch, das sie vom Rand des Feuers aufgelesen hatte. Zusätzlich deutete sie durch das kleine Rauchabzugsloch der Hütte nach draußen, wo ein oder zwei Sterne in einem schwarzen Kreis funkelten. Denn es war Nacht geworden. «Sein Volk kommt von jenseits des großen Ozeans, von einer anderen großen Insel, größer noch als Brasilien, wo die Sonne die Menschen schwarz gebrannt hat.»
    «Maira, was ist dein Wunsch, was soll meine Magie bewirken?»
    Als sie es sagte, weiteten sich die brauenlosen Augen des Schamanen, und sein zahnloser Mund stand offen – erst, weil er sie nicht verstand, und dann, weil er sie verstand.
    Seine Antwort lautete, soweit sie ihm folgen konnte: «Die Magie ist ein Weg, die Natur anzupassen. Nichts kann neu geschaffen werden, nur Monan allein ist der Schöpfer, und er ist des Erschaffens müde geworden vor langer Zeit, seit er sah, was die Menschen mit seiner Welt angerichtet haben. Die Magie kann nur vertauschen und verteilen, wie die Karten beim Spiel. Wenn etwas hierher gelegt wird, muß etwas anderes dorthin gelegt werden. Für jeden Gewinn muß anderswo ein Opfer gebracht werden. Verstehst du das?»
    «Ich verstehe.»
    «Bist du willens, für diesen Tristão ein Opfer zu bringen?»
    «Das habe ich schon getan. Ich habe meine Welt verloren. Ich habe meinen Vater verloren.»
    «Bist du willens, dich selbst zu wandeln?»
    «Ja, wenn er mich dann noch liebt.»
    «Er wird dich noch vögeln, aber nicht mehr so wie zuvor. Wenn wir mit unserer Magie in die Natur eingreifen, bleibt nichts, wie es war. Die Dinge geraten in Bewegung.» Seine Augen, brennend gerötet, waren vom Rauch und dem cauim wieder kleiner geworden.
    «Ich bin willens. Ich will.»
    «Dann werden wir morgen beginnen, Maira. Was wir tun, müssen wir bei Tageslicht tun, sechs Tage lang.» Seine Mundbewegungen schienen hinter den Worten herzuhinken, die alle schon in ihrem Bewußtsein angekommen waren, als sich seine Lippen noch kaum geöffnet hatten. «Wie wirst du mich entlohnen?» fragte er.
    «Als ich mein Heim verließ, habe ich viele Besitztümer zurückgelassen. Das einzige, was ich noch habe, ist ein kleines, mit Juwelen besetztes Kreuz. Ein Kreuz ist das Symbol für unseren Gott. Es bedeutet sowohl qualvolles Sterben wie ewiges Leben. In diesem Zeichen unterwerfen sich die Menschen meiner Rasse die ganze Welt.» Mit dem rußigen Holzstück zeichnete sie ein Kreuz auf ihre weiße Handfläche und streckte sie ihm entgegen. Der Schamane schloß seine müden, entzündeten Augen, als wolle er Unglück von sich fernhalten. «Es ist viele Cruzeiros wert», sagte

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