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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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wußte, daß die andere Frau es nicht guthieß.
    Tejucupapo wußte, was sie sagen wollte. Erschöpft in seine Hängematte gewickelt, den Geruch von schalem cauim und Tabak im Atem, schüttelte er seine Maraca. «Ich habe es dir schon gesagt – wenn etwas von dort nach hier gebracht wird, muß dafür etwas anderes von hier nach dort gehen.» Er wirkte traurig und kraftlos, ein alter Wilder, der sein Spiel verloren gab.
    «Ehe ich dich für immer verlasse, Tejucupapo, laß mich eine letzte Frage stellen. Dein Volk leidet. Es wird beraubt und vergewaltigt, ganze Stämme sterben. Der Tag wird kommen, da die Waffen und die Krankheiten des weißen Mannes auch diese Hochfläche erreichen, und sie werden das Christentum und die Sklaverei mit sich bringen. Warum wendet sich deine Magie, und die Magie aller anderen Schamanen, nicht gegen diese Flut?»
    Der Zauberer sprach so schnell zu Ianopamoko, daß Isabel kein Wort verstehen konnte, und beide Indianer lachten auf ihre kindliche Weise, mit abgewandten Gesichtern, damit kein Blick ins Innere ihrer Münder dringen konnte.
    Ianopamokos sanfte Stimme übersetzte: «Er sagt, daß das Gewesene nicht mehr beeinflußt werden kann und daß Vergangenheit und Zukunft wie die Wurzeln und die Äste eines einzigen, mächtigen Baums sind. Er sagt, daß die Magie nur für die Frucht da ist, in dem Augenblick, da sie fällt.»
    Mit seinen brennenden Augen starrte Tejucupapo in die Gesichter der Frauen, streckte seine linke Hand mit der Maraca aus und ließ diese, mit einem scharfen Prasseln der getrockneten Samenkörner, die sich darin befanden, in seine rechte fallen. So schnell, sagte diese Geste, vergeht das Leben und mit ihm die Möglichkeit, seinen Lauf durch Magie zu ändern.

24. Wieder im Dorf
    Während der siebzehn Tage ihres Rückwegs durch den Urwald, der sie mit seinen Früchten und Nüssen überschüttete und dessen kaum zu erahnende Pfade die beiden Frauen im grünen Dämmerlicht erspürten, umgeben vom Geschrei der Affen und Papageien, der bellenden Tukane mit den komischen Riesenschnäbeln und der zischenden Hoatzins mit den seltsam klauenhaften Flügeln, zeigte das Indianermädchen eine bebende Sucht nach Nähe, klammerte es sich mit einer neuen Wildheit an die geschmeidige, schwarze Isabel, einer Wildheit, die gezeugt war von Vorahnungen.
    Ianopamoko schien mit ihren grazilen, schlanken Gliedern und ihrem taillenlosen, braunen Rumpf noch zierlicher, zerbrechlicher, wehmütig weiblicher geworden zu sein. Isabel wurde es manchmal müde, bei ihr den Mann zu spielen, auch wenn es ein überschwengliches Gefühl war, eindeutig die Stärkere zu sein und in ihrer neuen Haut ohne das geringste Zeichen von Ermüdung voranzueilen, in der weit ausschwingenden Hand den langen, leichten Speer, den ihr die Männer auf dem Hochplateau zum Abschied geschenkt hatten, während Ianopamoko hinter ihr folgte und in einem Korb auf dem Rücken ihre wenigen Habseligkeiten und die Nahrungs vorräte mit sich schleppte.
    Als sie nach dem sechzehnten Tag das Ufer ihres Flusses erreichten, herrschte in dem Dorf der bandeirantes auf der anderen Seite eine unheilverkündende Stille. Wo die Hütten gestanden hatten, waren jetzt nur noch Trümmer durch das Laubwerk zu erkennen, und die noch aufrecht stehenden Stützpfosten waren verkohlt. Es war schon spät am Nachmittag und wurde schnell dunkel. Eine einzige Fackel taumelte in der Finsternis hin und her, und ein oder zwei Rufe drangen über den leise dahinströmenden Fluß. Der kleine Einbaum, den sie für ihre Flucht entwendet hatten, lag immer noch in seinem Versteck, einem Dickicht aus niedrig wachsenden Palmen, und Ianopamoko, die wieder die Führung übernahm, bestand darauf, daß sie sich in ihm ein Stück flußabwärts treiben ließen und den Fluß erst dort überquerten, wo die bewirtschafteten Felder aufhörten. Von dort aus wollte sie sich im Morgengrauen anschleichen und die Lage erkunden. Isabel sollte sich versteckt halten. «Meine Leute werden mich beschützen, sie kennen mich», sagte sie. «Dich würden sie nicht mehr erkennen.»
    «Aber Antônio wird wütend auf dich sein, weil du weggelaufen bist. Ich wollte dich beschützen, dich vor ihm verteidigen.» Sie hatte vorgehabt, den Ausflug zu dem Schamanen als einen Versuch auszugeben, ihren gemeinsamen Sohn von seinem Schwachsinn zu heilen, was sie in den folgenden Tagen durch die vorgebliche Entdeckung immer neuer Anzeichen von Intelligenz und frisch erwachter Energie bei dem Kind

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