Brasilien
die man ertasten konnte, und den senkrechten Einschnitt in der Mitte der wulstigen Oberlippe, wo fühlbar das Fett nachgab und ein violetter Schatten lag. «Du bist es. Deine Augen.»
Sie spürte, wie in der Dunkelheit ihres Schädels – der Arena des Geistes, die nur ein blutiger Reispudding war – wieder die warmen Tränen losbrechen wollten. «Sind meine Augen das einzige, was du an mir noch lieben kannst? Meine unveränderten, kalten Augen. Dann sei es so, Tristão. Du sollst mich nicht lieben, du sollst mich nur benutzen. Ich werde deine Sklavin sein. Du hast ja schon begonnen, mich zu schlagen. Du bist ja schon zu stolz, zu anspruchsvoll, um einen Kuß auf meinen Mund zu drücken. Als ich deine Hautfarbe hatte, und du die meine, da nahm ich dich, der du nichts weiter warst als ein Straßenjunge, ein elender moleque, mit in das Appartement meines Onkels, wo mehr Kostbarkeiten versammelt waren, als du in deinem ganzen Leben gesehen hattest, groß wie Untertassen waren deine Augen, und ich schenkte dir das Blut meiner Jungfräulichkeit, obwohl es mir weh getan hat, es hat mir schrecklich weh getan. Ich hab’s dir nie gesagt, wie sehr es mir damals weh getan hat. Du warst zu groß, und zu grob.»
«Ich wollte nicht grob zu dir sein. Es war das Ungeschick der Ahnungslosigkeit.»
Das war so aufrichtig, daß sie sich gezwungen fühlte, ebenso zu antworten: «Vielleicht warst du genauso grob, wie du sein mußtest.»
«Wir haben uns einander geschenkt», sagte er. «Wir gaben, was wir zu geben hatten. Wo ist der Ring, auf dem DAR steht?»
«Er war der Preis, den der Schamane gefordert hat, damit du weiß sein kannst und nicht mehr Sklave bist.»
Obwohl sie selbstlos gehandelt hatte, fühlte sie sich unbehaglich, als sie ihm das sagte. Er wiederholte ungläubig: «Du hast den Ring weggegeben, mit dem wir uns verbunden haben?»
«Ich habe ihn nicht einfach weggegeben. Ich habe ihn gegen dein Leben getauscht. Deine schwarze Haut hat dich hier zum Sklaven gemacht und dir früher die Feindschaft meiner Familie eingetragen.»
Er wurde nachdenklich, faßte sich an seinen blonden Bart. «Ja, meine Liebe, das stimmt. Du hast es gut gemacht.» Er streckte seine Hand aus und half ihr vom sandigen Boden hoch, auf dem Josés Kopf wie ein aufgeplatzter Kürbis seinen schleimigen Inhalt ausblutete und Hunderte, nein, Tausende von summenden kleinen Augenleckern, von pium- Fliegen, von den geflügelten Blutsaugern, die man borrachudos nennt, und von den Sandfliegen anlockte, die so winzig sind wie Pulverkörner, pólvora. Sie entfernten sich von dieser durstigen, stechlüsternen Wolke und setzten sich auf die Überreste dessen, was einmal die Veranda vor Antônios Haus gewesen war. «Laß dir erzählen, wie es mir ergangen ist; es war sehr seltsam», begann er, aber sie fühlte sich in ihrem Stolz getroffen.
«Mach nur weiter. Schlag mich noch mal, weil ich deinen Ring weggegeben habe. Hau mir doch die Arme ab, wie’s dieser abscheuliche José bei meiner guten Ianopamoko gemacht hat, dem einzigen Menschen, der je ein Freund für mich war. Du warst niemals ein Freund, du warst nur ein Mann. Ein Mann kann niemals der Freund einer Frau sein, nicht wirklich. Sie hat mir gezeigt, was Liebe ist. Du, du hast mir nur gezeigt, wie man sich einen Sklaven hält. Schlag mich. Verlaß mich. Ich habe genug von dir, Tristão. Es war zuviel, was uns die Liebe zugemutet hat.»
Er lächelte, dünnlippig und selbstsicher wie ein Weißer, und lachte sogar ein wenig über sie. «Unsinn, Isabel. Du liebst mich. Es ist unser Schicksal, einander zu lieben. Wir existieren kaum außerhalb dieser Liebe, wir sind nur Tiere ohne sie, die geboren werden und sterben und dazwischen ein Leben voller Angst fristen. Unsere Liebe hat uns erlöst aus diesem Schrecken des bloßen Lebens.» Er nahm sie bei der Hand, und sie spürte ihren Pulsschlag, wie er sich langsam und köstlich mit den bedächtigen Rhythmen seiner Worte verwob. «Sieben Tage lang, mit jedem Tag mehr, wich die Schwärze aus meiner Haut, ich wußte nicht, wie mir geschah. Erst wurde ich grau und dann so weiß, als hätte ich noch niemals die Sonne gesehen. Der närrische Alte, der sich dein Ehemann nannte, Antônio Peixoto, hielt es erst für eine jener Krankheiten, an denen ihnen ständig die Sklaven wegstarben. Aber dann, als sich an meiner Gesundheit sonst nichts änderte und die übrige weiße Mörderbande mir aus lauter Aberglauben die Ketten abnahm, übertraf er alle anderen in seiner
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