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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Wundergläubigkeit und verkündete, daß meine sichtbare Verwandlung in einen wahren Christenmenschen ein Zeichen Gottes wäre, das Lager aufzulösen und weiterzuziehen. José war dagegen, weil die Maniokwurzeln und die Süßkartoffeln noch nicht geerntet und die Pirogen noch nicht alle fertig waren, aber Antônio schimpfte ihn einen Ketzer und einen Rebellen wider den guten König João, wenn er an diesem himmlischen Fingerzeig zweifelte. Meine Verwandlung war ihnen ein Zeichen dafür, daß sie das goldene Königreich entdecken würden, in dem der Mann aus Gold herrscht, o dourado. Alle anderen waren auf Antônios Seite und drängten zum Aufbruch, und weil der Platz in den Pirogen nur für wenige von ihren indianischen Begleitern reichte, töteten sie die Frauen und Kinder und verbrannten die Hütten. Ich tat so, als würde ich bei dem Gemetzel mitmachen, und jagte ein Caduveo-Mädchen in den Wald, wo ich mich dann versteckte und aus sicherer Entfernung beobachtete. José mußte seinen Bruder mit seinem Zweifel in helle Wut versetzt haben – vielleicht hatte sich schon länger ein Zerwürfnis zwischen den beiden angebahnt –, denn Antônio befahl den anderen Männern, ihn zu fesseln und an einer Stelle liegenzulassen, wo es viele Ameisenhügel gab. Wie du gesehen hast, ist er als Wahnsinniger von dort zurückgekehrt. Ich habe ihn in den letzten Tagen beobachtet, wie er herumwühlt und wütet, und weil wir jetzt von gleicher Farbe sind, habe ich auch darüber nachgedacht, ob wir Partner werden könnten, um gemeinsam aus dem Mato Grosso zu entkommen – bis der heutige Tag mir die Entscheidung aus der Hand genommen hat. Eine innere Stimme hat mir befohlen, dich zu retten, obwohl du aus der Entfernung nur ein sich windender Schatten warst.»
    «Und mein Kind? Was ist mit Salomão?» fragte Isabel, die ein Gefühl der Scheu vor diesem weißen und neuerdings so wortgewandten Tristão nicht überwinden konnte. Aber auch sie selbst spürte in einem Winkel ihres Inneren, den zu erkunden sie noch nicht begonnen hatte, eine neue Kraft, die ihrer Wandlung zu verdanken war. Ihre frühere Vormachtstellung in der Außenwelt war einer wortlosen, innerlichen Stärke, einer Gewißheit gewichen, die sie schmecken konnte wie ein Gewürz, das eine fade Mahlzeit reizvoll machte.
    Das Thema Salomão paßte diesem Mann, der noch von seiner Ruhmestat mit der Axt erregt war, sichtlich nicht ins Konzept. Schon immer hatte hinter Tristãos Gesicht ein Abgrund gelauert, aber nun war es der Abgrund der Zukunft, einer Zukunft, die sich zu den blutgetränkten Ruinen dieses Dorfes verhielt wie ein Herrenhaus zu einer Sklavenhütte. «Antônio hat ihn mitgenommen», gab er zur Auskunft. «In seiner Verblendung hält er das arme Kind für eine Art Heiligen, der ihm trotz aller seiner Sünden den Weg zum Paradies weisen wird. Salomãos Zustand hat sich unter der Obhut von Takwame und ihren Töchtern weder gebessert, noch ist er gestorben. Aber ich fürchte, daß der ganzen Expedition kein Glück beschieden sein wird, Isabel. Ihre Flußfahrt wird sie nicht weit führen. Die Indianer haben mir gezeigt, wie man beim Aushöhlen der Baumstämme den Boden so dünn macht, daß die Pirogen bald leckschlagen. Sie werden den Madeira nie erreichen.»
    «Jedenfalls nicht in diesen Einbäumen», sagte sie und gönnte ihrem verschwundenen Sohn – einem Irrtum des Fleisches an einem faserdünnen Lebensfaden – die legendäre Zähigkeit der bandeirantes, von denen sie aus ihrer Schulzeit bei den Nonnen wußte, daß sie immer wieder von unglaublichen Abenteuern heil zurückgekehrt waren. Sie versuchte, ein Quentchen mütterlicher Trauer um ihr kleines, käsebleiches Kind aus sich herauszupressen, einen milchigen Gefühlserguß, aber sie brachte nur ein Aufatmen zuwege, eine harte, schonungslose Erleichterung darüber, daß es, ohne ihr eigenes Verschulden, aus ihrem Leben verschwunden war. Sie war frei, sich auf den Geliebten an ihrer Seite zu konzentrieren. Im Getriebe der Großstadt hatte sie ihn angezogen und nicht mehr losgelassen. Jetzt genoß sie die majestätische Einsamkeit, in der es galt, ihn durch einen neuen Zauber, oder eine neue Färbung des alten, abermals zu gewinnen.
    Er nahm die Dinge in die Hand wie nie zuvor. Es war, als wäre sein Gehirn, da er nun weiße Haut hatte, in ein aufgeräumtes Kästchen voller linearer Möglichkeiten verwandelt worden – ein Raster von Entscheidungen, Alternativen, Zukunftsprojektionen. Früher, als sie die

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