Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
deutsch geschrieben sein.“
„Ich kann doch Deutsch“, wandte ich ein. Asbjörn antwortete gar nicht darauf, und so ging ich aus dem Zimmer. Natürlich war es lächerlich, aber ich war schwer enttäuscht.
Warum sagte er nein, ohne auch nur darüber nachzudenken?
Das verstand ich nicht. Andere Menschen hatten Sekretärinnen und Skriptgirls; war ich denn dümmer als andere Mädchen?
Als ich nach Hause kam, schlief Asbjörn noch immer.
In meinem Zimmer stand die Schreibmaschine, da lagen auch sein Notizbuch und ein paar fertig geschriebene Bogen.
Ich setzte mich hin, studierte sie und verglich die fertig geschriebenen mit den hastig hingekritzelten Notizen. Du liebe Zeit, das war doch wirklich nicht so schwierig! Erst das Datum und dann die Uhrzeit. Bl. elf - was sollte das nun heißen? Ach ja, natürlich: Blende elf. Ortsangabe, Höhe über dem Meer. Und das Motiv.
Ich legte einen Bogen in die Maschine. Eine besonders schnelle Maschinenschreiberin bin ich bestimmt nicht, aber im Lauf der Zeit hatte ich doch ziemlich viele Briefe für Onkel Ferdinand heruntergehämmert, so daß ich nicht völlig hilflos war.
So schrieb ich nun sauber und ordentlich:
30. Juni, 6.15 Uhr, Szene 171. Neben dem Wasserfall oberhalb des Dorfes Villeverte. Höhe über dem Meer: 1900 Meter, gleich unterhalb der Baumgrenze. Der Wasserfall entsteht aus dem „Silberbach“ und zeigt sich gerade in dieser Jahreszeit in all seiner Pracht.
Szene 172. Ort, Zeit und Blende wie oben. Eichhörnchen im Wipfel einer Arve, einer Kiefernart, von der es in dieser Gegend noch viele Exemplare gibt. Die Eichhörnchen von der selteneren schwarzen Art.
Ich schrieb und schrieb; seine Notizen waren recht genau, und außerdem konnte ich sie noch etwas ergänzen, da ich die Umgebung hier so gut kannte.
Ich sagte nichts, legte nur die Bogen neben die Schreibmaschine und ging meines Weges. Ich hatte Grand’mere versprochen, ihre Schuhe beim Schuster abzuholen. Das bedeutete einen Gang quer durch ganz Villeverte, denn der Schuster wohnte gleich hinter dem Hotel Glacier.
Als ich um das Hotel herumkam, lag ein kleiner Parkplatz vor mir. Jetzt, während der Hauptsaison, war Villeverte förmlich von einem Kranz Autos umgeben, die nicht in den Ort hineinfahren durften. Dort hinter dem Hotel Glacier standen sie zwischen Bäumen und Felsblöcken. Hier stand auch Asbjörns seltsame kleine Seifenblase. „Dort steht der Wagen gut, ich bin nur froh, daß ich einen Platz für ihn gefunden habe“, hatte Asbjörn gesagt, als ich ihn gefragt hatte, ob er ihn nicht auf den anderen Parkplatz fahren wollte, näher ans Chalet Cosima.
Es stieg gerade eine Dame aus einem Auto aus und schloß es hinter sich ab. Sie nickte mir zu. Ach ja, das war ja die Dame aus der Wohnung Nummer fünf, dieselbe, die jeden Tag mit entsetzlich großem Rucksack zusammen mit ihrem Mann auf Wanderung ging.
Ich grüßte ebenfalls. Sie sagte ein paar Worte über das schöne Wetter und: „Uff, es ist doch schrecklich, mit wieviel überflüssigem Zeug man sich im Grunde abschleppt.“ Ich nickte, und damit war das zu Ende.
Als ich vom Schuster zurückkam, waren keine Menschen mehr auf dem Parkplatz. Ich muß zugeben, daß ich neugierig war, nicht etwa „interessiert“, sondern schlecht und recht neugierig, und so ging ich zum Auto hin. Warum in aller Welt hatten sie ihren Wagen hier stehen, wo sie doch auf der entgegengesetzten Seite wohnten?
Ich warf einen Blick auf die Nummer. An dem B erkannte ich, daß der Wagen aus Belgien war. Dann mußte ich lächeln. Die Nummer ergab nämlich das Datum meines eigenen Geburtstages.
Im übrigen hatte die Dame recht. Es war entsetzlich, womit sie sich alles abschleppten. Das Auto war mit Beuteln und Päckchen, mit Säcken und Kartons vollgeladen. Seltsame Menschen. Aber man kommt ja mit den wunderlichsten Typen zusammen, wenn man Ferienwohnungen vermietet.
Dann dachte ich nicht mehr weiter darüber nach. Ich rief Mouche, und wir trabten wieder nach Hause.
Am Kaffeetisch saß Asbjörn und plauderte mit Grand’mere. Sie strahlte über den „netten, höflichen jungen Mann“. Es tat mir richtig wohl, zu sehen, wie freundlich er mit ihr sprach. Er war alten Menschen gegenüber höflich und zuvorkommend, liebte Tiere, mochte Kinder gern, war in seiner Arbeit gewissenhaft und so lieb zu mir - verdiente ich da nicht Schläge, wenn ich mich wegen einer so lächerlichen Kleinigkeit wie des „Nein“ auf mein Hilfsangebot enttäuscht fühlte? Er erhob sich
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