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Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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aufnehmen.“
    Ich wartete - und hin und wieder blickte ich durch das Teleobjektiv. Es war wie ein Feldstecher, und es machte mir Spaß, die Berge so nah heranzuholen, daß ich alle Einzelheiten gut sehen konnte. Ich drehte die Kamera herum, und jetzt hatte ich das Breithorn im Sucher. Seine weißen Hänge lagen in Licht getaucht vor mir.
    Plötzlich kam unerwarteterweise Leben ins Bild. Der Schnee bewegte sich. Mein Herz klopfte heftiger: eine Lawine ging nieder.
    Bevor ich noch wußte, wie es geschah, hatte ich mit dem Finger auf den Auslöser gedrückt, und die Kamera surrte. Mein Auge wich nicht mehr vom Sucher. Mit der anderen Hand tastete ich nach dem Schalter für Zeitlupe. Da hatte ich ihn. Nun surrte die Kamera schneller und mit einem eindringlichen Geräusch: eine neue Schneemasse wälzte sich zu Tal, und über ihr stand eine weiße Wolke. Mein Herz klopfte, daß ich es hören konnte.
    Die Feder war abgelaufen. Ich stellte wieder auf normale Geschwindigkeit um, zog die Feder auf und richtete die Kamera erneut auf das Matterhorn.
    Bald darauf kehrte Asbjörn zurück, und ich half ihm die Sachen auf die andere Seite hinüberzutragen, von wo aus Asbjörn noch einige Meter Film vom Monte Rosa aufnahm.
    Erst spät am Nachmittag kamen wir nach Zermatt zurück. Auf der Fahrt hinunter mußten wir in der Bahn stehen. Es war gestopft voll, und wir standen so dicht, daß man von der Aussicht nicht viel zu sehen bekam. Also plauderten wir. Ich erzählte vom Hof meiner Großeltern in Italien und schilderte meine Besuche bei dem Pfarrer und meinen Feigendiebstahl in seinem Garten, der so traurige Folgen für mich hatte. Ich beschrieb ihm das gemütliche Arbeitszimmer des Pfarrers, wo er bunte Wachsstreichhölzer auf dem Tisch stehen hatte. Mir machte es einen Riesenspaß, ein solches Streichholz an der Unterseite des Tisches oder an meinen eigenen Schuhsohlen anzuzünden.
    Ich sprach von tausend Dingen, und Asbjörn hörte mir lächelnd zu. In Zermatt strömten die Menschen zum Zug. Plötzlich hielt ich am Kiosk vor dem Bahnhof an.
    „Wart ein bißchen, Asbjörn! Sieh mal, dort gibt es genau die Streichhölzer, von denen ich dir erzählte. Sogar in der gleichen Schachtel! Die muß ich kaufen!“
    „Nicht jetzt, Bernadette. Wir müssen uns beeilen, um noch Platz im Zug zu bekommen!“
    „Geh du nur voraus und beleg Plätze, ich komme gleich nach!“
    „Wie sollen wir uns denn in dieser Menschenmasse wiederfinden? Komm jetzt, ich will nicht wegen ein paar Streichhölzern bis St. Nicolaus stehen müssen!“
    Gut, ich folgte ihm. Aber etwas von der Freude dieses Tages war von mir gewichen. Die Erinnerungen an die Kindheit waren plötzlich so lebendig gewesen; Und jene glücklichen Sommer verbanden sich hier irgendwie mit diesem glücklichen Sommer. Da paßte die kleine bunte Streichholzschachtel mit den Wachsstäbchen so gut hinein, ich hätte sie so gern gehabt und ich wollte sie jetzt haben! Was hatte Corinne über ihre eigene Vernunft gesagt? Daß sie wie eine Bremse auf Tony wirke, als ob sie ihm die kleinen, unvernünftigen Freuden verdürbe.
    Ja. Auch Asbjörn hatte mir eine winzig kleine Freude zerschlagen. Eine helle, wärmende, kleine Freude.
    Ich war nicht länger in überglücklicher Stimmung, war nicht mehr in einem schimmernden Märchenland. Ich saß auf einer harten Bank in einem überfüllten Abteil und war müde von all dem Gehen und Stehen. Außerdem war es in diesem Gedränge unerträglich heiß.
    „Matterhorn“ dachte ich plötzlich. Hatten wir nicht verabredet, in einem solchen Augenblick „Matterhorn“ zueinander zu sagen, uns über alles auszusprechen und keine Mißstimmung aufkommen zu lassen?
    Das wohl - aber das setzte voraus, daß der andere Teil überhaupt wußte und verstand, es sei etwas geschehen. Und Asbjörn hatte keine Ahnung. Froh und glücklich saß er mir gegenüber und lächelte sein gutes, heiteres Lächeln, das mir ohne alle Worte sagte: „Ich liebe dich so sehr, Bernadette!“
    War nicht vielleicht das die Hauptsache? Und war ich nicht sehr töricht, wegen ein paar lächerlichen, kleinen Wachsstäbchen enttäuscht zu sein?
    Unsinn! Was war aus meiner guten Laune geworden?
    War es wirklich nötig, daß ich mir diesen wunderbaren Tag wegen einer Schachtel Streichhölzer verderben ließ?
    Da schüttelte ich alles ab.
    Als wir nach St. Nicolaus gelangten, war ich wieder ich selber, ich kroch in Asbjörns urkomisches kleines Auto hinein, beugte mich vor und küßte seine Hand, die

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