Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Straße an der Rhone entlang lagen Obstgärten, Kilometer um Kilometer Aprikosen- und Pfirsichplantagen. Immer wieder sahen wir Schilder mit der Aufschrift: „Frischgepflückte Aprikosen zu verkaufen“ - „Frische Pfirsiche direkt vom Baum“.
Ich habe das Gefühl, als hätte ich mich durchs Rhonetal hindurchgegessen. Denn wer könnte solchen voll ausgereiften, frischgepflückten Früchten widerstehen?
Asbjörn war schweigsam. Jetzt arbeitete es wieder in seinem Kopf. Nun legte er sich alles zurecht, was er in Frankfurt unternehmen wollte. Einen Tag vor der Abreise hatte er einen dicken Brief mit allen möglichen Fragen und Vorschlägen erhalten. Die Gesellschaft hatte ihren besten Kameramann für Reklamefilme verloren; er war nach Amerika gegangen - ob Asbjörn wohl Erfahrungen in Reklamefilmen hätte?
Ich schwieg und sah ihn verstohlen von der Seite her an. Sein Gesicht wirkte so erwachsen und entschlossen. Wenn er so angestrengt nachdachte, bekam er breite Backenknochen und ein energisches Kinn.
Nun wandte er mir das Gesicht ein wenig zu und lächelte. „Mäuschen, wie geht es dir?“
„Großartig. Möchtest du eine Aprikose?“
„Ja, wenn du die eine Hälfte abißt und auch den Kern wegnimmst!“
Ich aß also ein Stück ab und steckte die andere Hälfte Asbjörn in den Mund. Ein paar Kilometer verstrichen mit dem Essen von Aprikosen. Für beide sehr unterhaltend.
„Wie gut es uns geht, Asbjörn!“
„Das kann man wohl sagen!“
„Denkst du sehr an deinen Chef in Frankfurt?“
„Ja, kannst dir vorstellen, warum! Ich frage mich, ob ich mich auf dieses Feld des Reklamefilms vorwagen soll. Ich habe schon in solchen Sachen gearbeitet, aber ich hätte viel größere Lust, mich auf Natur- und Tierfilme zu spezialisieren.“
„Aber sag mal, wenn du jetzt Reklamefilme machen solltest, bleibst du doch wohl vorläufig in Frankfurt, und da müssen wir eine Wohnung dort haben.“
„Genau das müßten wir. Und wenn du glaubst, daß das einfach ist.“
„Nein, das glaube ich keineswegs! Aber wir sollten es auf jeden Fall versuchen.“
„Tja.“ Wenn Asbjörn ein Ja sagte, das mit einem T begann, wußte ich Bescheid. Da waren seine Gedanken ganz woanders. Das konnte ich verstehen. So schwieg ich und überließ ihn seinen Gedanken, tauschte die Aprikosentüte gegen eine mit Pfirsichen aus und dachte, daß diese Pfirsiche ebenso himmlisch schmeckten wie damals die Feigen, die ich aus dem Pfarrgarten gemopst hatte, wofür ich übergelegt wurde.
Es war das einzige Mal, daß ich eine Strafe bekam, und Grand’mere und Großvater hatten laut protestiert. Man stelle sich nur vor, daß Mutti ihr armes Kind schlagen konnte! Das unschuldige Kind. La petite, den kleiner. Engel! Grand’meres Augenstern, Großvaters Liebling!
Ja, verwöhnt hatten sie mich. Das stimmte. Bat ich um etwas, bekam ich es. Wollte ich mich um etwas drücken, so brauchte ich es nicht zu tun. Hatte ich Lust, etwas Bestimmtes zu tun, durfte ich es.
Kam ich von den Ferien in Italien nach Norwegen zurück und erzählte meiner Großmutter dort, wie schrecklich lieb Grand’mere und Großvater waren, hielt sie es für unerläßlich, mich auch zu verwöhnen. Ich sollte doch wahrhaftig zu spüren bekommen, daß ich auch in Norwegen eine liebe Großmutter hatte.
Und Mutti war gewiß nicht hart. Tatsächlich hatte sie mich nur dieses eine Mal, als es um die pfarrherrlichen Feigen ging, mit strenger Hand gestraft. Im übrigen aber war sie immer nachgiebig.
Hatte es mir geschadet? Hatten sie nicht alle mir beigebracht, froh und freundlich zu sein? Wenn ich so viel Liebe und Güte empfing, war es doch nur natürlich, daß ich auch viel zu geben hatte. Aber stimmte es, was Asbjörn mir vorgeworfen hatte, ich sei zu empfindlich und nähme mir alles zu sehr zu Herzen?
Wahrscheinlich war es wirklich meine törichte Empfindlichkeit, daß ich so unglücklich wurde, sobald Asbjörns Stimme etwas schroff klang, er mir eine Bitte abschlug oder einen meiner Vorschläge ablehnte.
Ja, ja, man kann über so manches nachdenken, wenn man in einem kleinen Auto sitzt und an einem heißen Sommertag quer durch die Schweiz fährt.
„Weißt du was“, sagte Asbjörn, als wir durch die Außenbezirke Basels fuhren, „wenn wir auf der Rückreise Zeit hätten, würde es mir Spaß machen, einige Stunden hier zu verbringen. Hier gibt es nämlich einen hübschen Zoo, den ich mir gern ansehen möchte.“
„Du und deine Tiere!“ lächelte ich. „Aber in Frankfurt
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