Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
solche Kameraleute hätten ein Auto voller Apparate, Stative und dergleichen“, sagte ich und half ihm aus dem Anorak heraus.
„Das wohl, ich habe auch eine Art Auto, eine Miniaturausgabe -aber wenn ich weit oben im Gebirge filme, muß ich das Zeug schon selber tragen.“
„Sie können mir glauben, daß mein Neffe schöne Filme macht!“ mischte sich Frau Grather wieder ein. „Einige von ihnen waren schon im Fernsehen in Deutschland, stellen Sie sich das vor, und einer in England.“
„Nur nicht übertreiben, liebe Tante“, sagte Asbjörn, „ich bin noch immer ein Anfänger. Können Sie die Taschen recht groß machen, Fräulein Bruland?“
„Natürlich. Mache ich.“ Die Stunden verstrichen, und ich nähte, während Frau Grather das Mittagessen zubereitete.
Da war der Webfehler! Schon gut, ich konnte aus dem Stück die Taschen machen, denn die kamen ja nach innen. Als wir beim Kaffee saßen, unterbrach Frau Grather unversehens ihr eigenes Geschwätz und wandte sich an ihren Neffen: „Könntest du nicht Fräulein Bruland deinen Baum zeigen, Asbjörn?“
„Seinen Baum?“ fragte ich, ohne zu verstehen. Asbjörn sah verlegen aus.
„Es ist nichts Besonderes, Fräulein Bruland, nur meine Tante findet etwas daran. Es handelt sich um einen Filmstreifen, den ich als Schuljunge einmal gedreht habe.“
„Ich würde ihn wohl brennend gern sehen“, versicherte ich ihm, „aber das ist mitten in meiner Arbeitszeit.“
„Ach was, der Film dauert ja nur ein paar Minuten. Wir trinken doch noch eine Tasse Kaffee, nicht wahr, und in der Zeit können wir uns den Film ansehen. Sei so nett, mein Junge, tu es mir zuliebe, Asbjörn.“
Ein wenig zögernd erhob er sich, ging aus dem Zimmer und kehrte mit einer zusammengerollten Leinwand und einem kleinen Projektionsapparat zurück.
„Es ist nur ein Acht-Millimeter-Film. Mit meiner ersten Kamera aufgenommen. Sie dürfen also nicht mit allzu großen Erwartungen herangehen, Fräulein Bruland. Es handelt sich nur um ein Experiment.“
„Das ein ganzes Jahr in Anspruch genommen hat!“ fügte Frau Grather hinzu.
Er zog das Rollo herunter, hängte die Leinwand auf und setzte den Projektor in Gang.
Es war ein Farbfilm, und auf der Leinwand war nichts anderes zu sehen als ein Baum. Ein kahler Kastanienbaum an einem kalten Frühjahrstag.
Aber dann - vor meinen Augen begannen sich die Knospen des Baumes zu entwickeln. Es folgte eine Großaufnahme, man sah die Knospen wachsen, sich langsam, ganz langsam öffnen und zu grünen Blättern entfalten. Dann kam noch ein neuer Farbton dazu, ein rosa Schimmer im Grün. Es waren die Blütenknospen, die sich entwickelten, sich färbten und öffneten - und dann stand der Baum in seinem reichen, farbigen, prächtigen Sommerkleid da.
Es ging weiter. Die Blüten verwelkten, es bildeten sich die Früchte, sie saßen dicht am Baum und fielen zur Erde. Die Blätter färbten sich gelb. Immer durchsichtiger wurde das Laub, und der Baum bog sich in den Herbststürmen. Schließlich setzte Regen ein -und da stand er nun naß und dunkel, kahl und trostlos.
Ohne Pause ging es weiter. Der schwarze Baum wurde weiß. Schnee war gefallen. Immer dichter und dichter, bis der Baum von großen, weißen Schneekissen bedeckt war.
Dann taute der Schnee, und es tropfte und tropfte. Es kam der Kahlfrost und wieder stand der Baum da, dunkel und steif vor Kälte.
Das Licht veränderte sich. Es sah aus, als verlöre der Baum seine Härte, Leben erwachte in ihm, und erneut war er von einem schwachen, grünen Schimmer umgeben, der vor unseren Augen immer stärker wurde.
Und dann war der Film zu Ende. „Wie in aller Welt.“, sagte ich und wandte mich zu Asbjörn um.
Er lächelte, während er die Filmspule aus dem Projektor nahm.
„Ach, es war eben eine Idee, die ich eines Tages bekam. Ich habe die Kamera in der Fensternische festgeschraubt. Der Baum stand vor einem Fenster unserer Wohnung in Oslo. Drei- oder viermal am Tag habe ich ein paar Zentimeter Film aufgenommen, und als die Knospen kurz vor dem Aufspringen waren, habe ich mehrere Einzelaufnahmen am Tag gemacht. Weiter keine Kunst, ich mußte nur daran denken, jeden Tag ein bißchen aufzunehmen. Jeden Morgen, bevor ich zur Schule ging, dann sauste ich in der großen Pause nach Hause, und gleich nach der Schule stürzte ich heim.“
„Und die Sommerferien hast du dafür geopfert“, fügte Frau
Grather hinzu.
„Ja, das mußte ich doch. Und als ich mit Grippe und hohem Fieber im Bett lag, bin
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