Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Carlo. „In diesem Sommer hast du mich ganz im Stich gelassen; ich habe dich nur ein einziges Mal gesehen!“ Ich erklärte ihm den Zusammenhang.
„Aber wie geht es dir selber, Carlo?“ fragte ich. „Du siehst so blaß aus!“
„Ja, ich bin nicht so ganz auf Draht. Die Jahre melden sich - dazu habe ich mich richtig erkältet; ich habe wohl ein wenig Fieber. Aber das geht schon wieder vorbei; bisher habe ich noch jeden Stoß ausgehalten. Ich wünsche euch nun eine schöne Tour. Und wenn ihr mit der Bahn hinunter wollt, kommt rechtzeitig, denn ich schließe den Laden, sobald es dunkelt.“
„Wir sind das Laufen gewohnt“, lachte ich. „Bis nachher, Carlo, und gute Besserung!“
So stiegen wir durch die Schlucht auf, ich vorn weg, hinter mir Asbjörn auf dem schmalen Pfad. Ich wußte, daß ich mich an diesem Tag mit ihm aussprechen mußte. Heute war die Gelegenheit da. Beim Gehen überlegte ich mir, wie ich es anfangen sollte - und ich hatte Herzklopfen, ich hatte Angst - ganz einfach Angst vor dem Mann, den ich liebte. Ja, denn ich liebte ihn. Liebte ihn so heiß, wie ich es die ganze Zeit über getan hatte. Ich hatte ihn so verzweifelt, so
schmerzlich lieb.
Jetzt - jetzt hatte ich wieder den Kloß im Hals. Das durfte nicht sein - ich mußte ruhig mit ihm sprechen können.
„He, wart einen Augenblick, Bernadette!“ Ich blieb stehen. Asbjörn stand mit dem Feldstecher vor den Augen da.
„Sieh mal, dort oben kommt Franz!“ Er reichte mir den Feldstecher. Natürlich war es Franz, der bereits abstieg.
„Er ist heute schon früh unterwegs!“
„Oder wir sind spät dran“, meinte Asbjörn. „Ist dir klar, daß schon bald Mittag ist?“
Nun - ich beschloß zu warten. Erst mußten wir diese Sache mit Franz erledigen.
In den Bergen sind die Entfernungen groß. Es dauerte eine Stunde, bevor wir einander begegneten. Danach gingen wir in ein Seitental. Dort lief ein Bach, dort konnten wir auf unserem Spirituskocher Kaffee kochen und unseren Proviant essen.
Erst nachdem wir gegessen hatten, überwand ich mich dazu, mit Asbjörn zu reden, und eigentlich war er es, der anfing. Er sah mich forschend an:
„Stimmt etwas nicht, Bernadette?“
„Wieso glaubst du das?“
„Du bist so still - und so ernst. So habe ich dich noch niemals gesehen. Wo ist deine strahlende Lebensfreude geblieben? Wo ist dein Füllhorn?“
„Du hast den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Gerade das ist es nämlich. Mein Füllhorn ist leer. Leergekratzt.“
„Aber dann erzähl doch, Liebling, was ist mit dir los?“
„Ich. ich.“ ach, mein Gott, schon kamen die Tränen, und ich konnte sie nicht zurückhalten, ich zitterte am ganzen Körper. Warum nur konnte ich nicht ruhig bleiben? Aber nein, das konnte ich nicht. Meine Lippen bebten, als ich endlich die Worte hervorbrachte:
„Ich traue mich nicht, dich zu heiraten, Asbjörn!“
Ich weiß nicht, was Asbjörn antwortete, oder ob er überhaupt geantwortet hat. Ich weiß nur, daß meinen Worten eine lange Stille folgte. Er ließ mir Zeit, mich zu sammeln. Nachdem ich ein wenig ruhiger geworden war, legte er den Arm um mich.
„Schon gut, Mäuschen. Jetzt aber mußt du versuchen zu reden. Erklär mir alles von Anfang an. Habe ich dir irgendwann weh getan?“
„Ja, Asbjörn. Tausend kleine Nadelstiche - lächerliche, kleine Nadelstiche, die nichts zu bedeuten gehabt hätten, wären es nicht so viele gewesen - und es war mir gelungen, mich über sie hinwegzusetzen - sie mit einem Lachen zu erledigen - bis. bis.“
„Bis. Bernadette?“
Seine Stimme klang gedämpft und ruhig.
Dann erzählte ich ihm, was mir in der letzten, schrecklichen, schlaflosen Nacht in Frankfurt durch den Kopf gegangen war. Wenn er mich fragen konnte, was ich mir wünschte, und ich einen Wunsch aussprach, sogar einen brennenden Wunsch, und er diesen mit einem Nein abschlug, obwohl er so leicht zu erfüllen gewesen wäre - da gab es für mich nur eine Erklärung: er liebte mich nicht, er liebte mich nicht richtig, er liebte mich nicht so stark, wie man einen Menschen lieben muß, den man heiraten will.
Noch immer saß er regungslos da.
„Sag mir zunächst einmal eins, Bernadette: Liebst denn du mich?“
Da blickte ich ihm in die Augen, obwohl ich ihm dabei mein scheußlich verweintes Gesicht zuwenden mußte.
„Ja, Asbjörn, ich liebe dich über alles auf der Welt. Wäre das nicht der Fall, gäbe es ja gar keine Schwierigkeiten.“
„Und ich liebe dich, Bernadette. Wird da nicht alles
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