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Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Titel: Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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nimmst – aber daß du es tust, darin bin ich mit dir völlig einig.“
    Ich hörte Lisbeth leise wimmern und ging zu ihr. Nein, ich mußte mich wohl getäuscht haben. Sie schlief. Ich sagte Anne-Grete gute Nacht und ging zu Bett.
    Ich war gerade im Begriff einzuschlafen, als ich durch einen Schrei aufgeweckt wurde. Ich machte schnell Licht.
    „Lisbeth! Was hast du?“
    „Ich habe so häßlich geträumt – und da bin ich aufgewacht – und da fiel mir ein, wo ich bin- und da – Steffi! Weißt du noch, was du einmal gesagt hast? Du hast gesagt, die Kinder, die eine Mutter haben, kriechen zu ihr ins Bett, wenn sie in der Nacht etwas Häßliches geträumt haben.“
    „Ja. Möchtest du vielleicht – “
    „Können wir nicht so tun – Steffi! Können wir nicht so tun, als ob du meine Mutti bist?“
    „Komm, kleine Lisbeth!“
    Die kleine Gestalt im blaugestreiften Flanell kam die Leiter vom Oberbett heruntergeklettert. Wie hatte sie sich an den ersten Abenden über diese Leiter amüsiert!
    „Du, Steffi!“ sagte Lisbeth, als sie in meinem Arm lag. „Jetzt sind wir noch ähnlicher, du und ich.“
    „Wie meinst du das, mein Häschen?“
    „Jetzt haben wir beide keinen Vater und keine Mutter mehr.“
    Das Weinen drohte aufs neue loszubrechen.
    „Aber wir haben doch einander, Lisbeth. Du hast doch eine Mutter, und ich habe doch eine Tochter – wenn wir auch bloß so tun.“
    „Ja“, sagte Lisbeth.
    Sie hatte ganz sicher noch nie einen Menschen geküßt. Ich weiß daher nicht, was sie trieb, als sie ihren warmen kleinen Mund auf meine Wange drückte.
    Ich fühlte mich so reich und war dem Herrgott so unsagbar dankbar, daß ich dieses warme kleine Wesen, das sich so vertrauensvoll an mich schmiegte, fortan besitzen sollte.
    Es war wundervoll, Mutter zu sein – auch wenn man bloß „so tat“.

9
     
     
    Wenn wir über die ersten Tage so einigermaßen hinwegkamen, so hatten wir das einzig und allein Anne-Grete zu verdanken. Sie war unbezahlbar. Sie sprach und scherzte mit Lisbeth genauso wie früher. Sie kümmerte sich sehr viel um sie, aber licht so, daß es auffiel. Sie ließ sie nie unbeschäftigt. Sie bat sie um kleine Dienstleistungen und weihte sie tiefer in die Geheimnisse der Kunst des Schreibens ein. Und dann sorgte natürlich auch das Fahrrad dafür, sie in Atem zu halten. Ich hatte übrigens schnell eingesehen, daß mein Gedanke, ihr in diesem Augenblick ein Rad zu schenken, eine Dummheit gewesen war. Ich hätte dem armen Ding fürs erste jede neue Sinnesbewegung ersparen müssen. Kaum hatte sie den Schock, den sie bei der Nachricht von dem Tode ihres Vaters erlitten, einigermaßen überwunden, als sie plötzlich vor ein schimmerndes, rot lackiertes Fahrrad geführt wurde, das, wie man ihr versicherte, ihr ganz allein gehören sollte. Zuerst wurde sie blaß – dann begann sie heftig zu schluchzen. Das arme Kind! Ohne sich recht darüber im klaren zu sein, hatte sie wohl das Empfinden, daß das Rad ein großer Trost in einem großen Schmerz sein sollte. Dadurch wurde der Schmerz noch größer und fühlbarer.
    Es ging aber besser, als wir hatten erwarten können. Gott sei Dank war Lisbeth trotz ihrer Frühreife doch ein richtiges Kind geblieben. Sie konnte daher die Freuden des Augenblicks genießen und darüber ihren Kummer vergessen. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie zum ersten Male – auf ihrem eigenen Rade! – mit Anne-Grete und mir nach Geilo fuhr. So wurde das Trostgeschenk schließlich doch zu einem wirklichen Trost.
    Mir graute vor dem Tage, an dem Anne-Grete uns verlassen würde. Ich war mir noch nicht darüber schlüssig geworden, was ich tun sollte. Ob ich Tante Helga bat, heraufzukommen? Oder Erna? Zum Glück beantwortete diese Frage sich ganz von selber.
    Anne-Grete war am Freitag zum Bahnhof geradelt, um für den Sonntag eine Platzkarte zu bestellen. Auf der Heimfahrt stürzte sie und blieb hilflos liegen. Ein Auto, das gerade des Weges kam, las sie auf und brachte sie zu einem Arzt, der einen Knöchelbruch feststellte. Als ich erfuhr, was geschehen war, radelte ich mit Lisbeth sofort nach Geilo, um sie abzuholen. Am Nachmittag waren wir wieder zu Hause – Anne-Grete mit dem einen Bein im Gipsverband.
    Krankmeldung und ärztliches Zeugnis wurden nach Oslo geschickt. Anne-Grete erhielt Urlaub auf unbestimmte Zeit, allerdings einen sehr ruhigen Urlaub, in unserem bequemsten Lehnsessel, mit dem Bein auf einem Schemel.
    „Jaja“, sagte sie, in ihr Schicksal ergeben.

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