Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
ich muß wohl rein und ihr noch Tee einschenken.«
»Schenk ihr lieber reinen Wein ein«, murmelte Vati, halb lächelnd, halb ärgerlich.
Am folgenden Tag ging es Marion körperlich viel besser, seelisch aber war sie auf dem Tiefpunkt. Sie sprach nicht, sie las nicht, sie aß wenig. Es war zum Verzweifeln.
»Hör, Britta«, sagte Tante Edda. »Hast du wirklich nicht damit gerechnet, daß es Schwierigkeiten geben würde, wenn wir dies auf uns nehmen?«
»Doch, damit hatte ich natürlich gerechnet!«
»Na, dann verlier doch bei der ersten Schwierigkeit nicht gleich den Mut! Noch dazu bei einer Schwierigkeit, die unbedingt kommen mußte. So, jetzt gehe ich rein zu unserem Sonnenstrahl. Kommst du mit?«
»Meinetwegen!«
Marion antwortete auf Tante Eddas Frage, wie es ihr ginge, nur mit einem unverständlichen Gemurmel.
»Hör, Marion«, sagte Tante Edda. »Du siehst so miesepetrig aus, daß es zum Heulen ist. Wenn du Kummer hast, dann raus damit! Wir wollen dir doch helfen, Mädchen!« Keine Antwort.
»Hat dich jemand beleidigt? Ist jemand häßlich zu dir gewesen? Dann geschah es bestimmt ohne Absicht. Wir wollen doch nur dein Bestes, Kind.«
Da platzte Marion heraus:
»Weiß ich! Ihr wollt nur Gutes, ihr wollt das arme Mädchen bekehren, ihr wollt dem armen Onkel eine Zeitlang die Verantwortung abnehmen, und von mir erwartet ihr nun, daß ich mich schäme, daß ich dankbar bin und meine Sünden bereue. Aber ich schäme mich nicht, ich bin nicht dankbar, ich bereue nichts, und ihr könnt mir alle gestohlen bleiben, ihr mit eurem ewigen Lächeln und Mitleid! Es ist zum Kotzen!«
Tante Edda stand vollkommen ruhig da. Als Marion schwieg, nickte sie.
»Das tat aber gut, Marion, das einmal loszuwerden, nicht wahr? Eine richtige Erleichterung war es! Nun werde ich dir was sagen: Du wirst früher oder später auf dich selbst böse sein, wenn du daran denkst, was du gerade gesagt hast. Vielleicht wirst du es sogar bereuen. Das sollst du aber gar nicht! Wenn du verstehst, daß du dich geirrt hast, dann sei glücklich darüber. Du brauchst es nicht zu bereuen und sollst dir keine Selbstvorwürfe machen. Es mußte einmal raus! Übrigens möchte ich erwähnen, daß wir mit deinem Onkel überhaupt nichts verabredet haben, außer daß wir dich gern hierbehalten möchten, und wir ahnen nicht, was er dir gesagt hat. Doch was es auch gewesen sein mag, es geht auf seine eigene Rechnung, und keiner hier im Haus ist dafür verantwortlich! So, und nun laß dir von Britta die Haare kämmen. Du siehst aus wie eine Kreuzung zwischen einem Mop und Brigitte Bardot. Auf Wiedersehen, Brausekopf!«
Marions Augen blieben an der Tür hängen, die sich leise hinter Tante Edda schloß.
»Ist das aber eine komische Nudel«, sagte sie.
Kein Zweifel, Tante Eddas lange Rede hatte Eindruck auf Marion gemacht. Nicht, daß sie sofort freundlich und sonnig wurde, beileibe nicht! Aber ihr Gesichtsausdruck änderte sich allmählich, die »Gewitterwolken« verzogen sich.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich je glücklich sein würde, weil ein Mensch mich eine >komische Nudel< nennt«, lachte Tante Edda, als ich Bericht erstattet hatte. »Das ist ja ein großartiger Anfang! Zuerst waren wir alle, ich mit eingeschlossen, zum Kotzen. Da ist die komische Nudel schon ein Riesenfortschritt!«
»Ach, Kinder«, seufzte ich, »was haben wir - ich meine Vati und mich - uns da aufgehalst! Wenn bloß unsere Gemütlichkeit und unser nettes Familienleben dabei nicht flötengehen. War es wirklich richtig, daß wir das Problemkind hierbehielten?«
»Weißt du, Britta«, sagte Tante Edda, und ihre Stimme war voll Wärme. »Auf deine Frage kann ich dir genau die richtige Antwort geben. Ich habe sie aus der Bibel.«
»Und was sagt die Bibel?«
Tante Edda zitierte langsam, jedes Wort betonend:
»Denn wer da weiß Gutes zu tun und tut’s nicht, dem ist’s Sünde.«
Wir schwiegen eine Weile. Dann nickte ich.
»Ja. Omi sprach manchmal von Unterlassungssünden. Jetzt verstehe ich, was damit gemeint ist.«
»Eigentlich«, sagte Bernadette langsam, »eigentlich ist das genau das gleiche wie der Wahlspruch meiner Familie in Wallis.«
»Und der lautet?«
»Wenn ich weiß, daß jemand leidet, und ich könnte helfen und tu es nicht, dann bin ich an dem Leiden schuld.«
Wieder schwiegen wir. Zuletzt sagte Ellen:
»Wie richtig ist das. Aber schaffst du es immer, danach zu leben?«
»O nein, leider nein! Aber ich habe den Spruch ein bißchen vereinfacht und es mir
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