Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
dem Arzt telefoniert. Das war vielleicht auch verkehrt von mir und gibt mir wohl einen Heiligenschein? Den schmeiße ich dir aber geradewegs in deine saure Fratze, daß du’s weißt!«
Ich mußte aufhören, um Luft zu holen. Marion guckte mich an, ihre Augen waren kugelrund.
»Ach, schau doch nicht so kariert aus der Wäsche, du Dussel!« rief ich.
Marion guckte weiter.
»Määänsch!« sagte sie, und ihre Stimme drückte unverhohlene Bewunderung aus.
Da mußte ich lachen. Ich drehte mich jäh um, denn ich wollte den Eindruck meines Ausbruches nicht zerstören, und marschierte hinaus.
Im Wohnzimmer sank ich erschöpft in einen Sessel. Tante Edda saß da. Eigentlich wollte ich ihr das Neueste von Marion berichten, aber sie hatte das Radio an und lauschte aufmerksam. Ich nahm die Programmzeitung. Es war ein Wagner-Konzert mit Fischer-Dieskau und Renata Tebaldi. Das war also das »miese Gejaule«.
Ich stand leise auf und ging in die Küche, wo ich Bernadette vorfand. »Nanu, was machst du hier? Ich denke, du schreibst deinem Mann?«
»Ist schon erledigt. Dein Vater riß mir den Brief aus der Hand und lief zur Post.«
»Mit Lillepus auf den Schultern, nehme ich an.« Dann erzählte ich Bernadette von Marion. »Armes Mädchen«, sagte Bernadette.
»Du hast gut reden, du siehst sie kaum. Ich bin es, die immer das Vergnügen hat.«
»Gewiß, Britta. Aber ihr habt euch ja nur für einen Monat verpflichtet. Ein Viertel davon ist bald um.«
Ich schwieg. Daran hatte ich nicht gedacht. Nur noch drei Wochen, dann sollten wir Marion allein in die böse Welt hinausschicken. Zurück zu dem Onkel oder in ein Erziehungsheim. Gab es eine dritte Möglichkeit?
»Na, Britta, du seufzt ja so abgrundtief!«
»Uff, ja, ich weiß jetzt weder aus noch ein. Du hättest bloß eben das Gespräch zwischen Marion und mir hören sollen. Zu guter Letzt habe ich sie nach Strich und Faden ausgeschimpft.«
»So? Was hast du ihr gesagt?«
Ich wiederholte meinen Ausbruch einigermaßen wörtlich. Bernadette lachte hell auf.
»Britta, Menschenskind, woher hast du solche Ausdrücke?«
»Weiß nicht. Sie liegen wohl in der Luft. Ich meine, in der Sommerluft auf dem Seehundsrücken. Wahrscheinlich habe ich sie von jugendlichen Sommerfrischlern. Jedenfalls waren sie gerade da, als ich sie brauchte.«
»Und wie hat Marion reagiert?«
»Sie war sichtlich beeindruckt. Keine Spur böse jedenfalls.«
»Wunderbar! Weißt du, Britta, ich finde es gut, daß sie überhaupt etwas sagt, daß sie nicht stumm wie eine Auster herumliegt. Kannst du eigentlich erwarten, daß sie nach wenigen Tagen ein nettes, ausgeglichenes Mädchen ist? So etwas geht langsam. Hauptsache, es geht überhaupt!«
»Und du meinst, daß es geht?«
»Bestimmt! Daß sie anfangs bitter und böse ist, das ist doch klar. Sie steht grundsätzlich in Opposition, vor allem zu ihrem Onkel, aber auch zu der ganzen Welt, und - ach, wie soll ich das erklären? - sie ist so machtlos, fühlt sich klein und häßlich, liegt im Bett und muß sich pflegen lassen. Wie soll sie sich behaupten? Britta, es wird bestimmt besser, wenn sie erst wieder gesund ist und sich irgendwie beschäftigen kann, wenn sie sozusagen als Familienmitglied in unseren Kreis hineinrutscht. Glaubst du nicht?«
»Vielleicht. Wir werden die drei Wochen schon aushalten, die uns noch bevorstehen. Aber es ist etwas anderes.« Bernadette nickte.
»Ich weiß. Du magst gar nicht daran denken, daß Marion zurück muß, und daß alles, was wir hier aufbauen oder aufzubauen versuchen, gleich wieder zerstört wird.«
»Ja, Bernadette, so ist es. Sag, was tätest du an meiner Stelle?« Bernadette lächelte ein kleines, feines Lächeln. »Du kennst meinen Wahlspruch.«
»Ja. >Sage nie nein, wenn es möglich ist, ja zu sagen.<«
»Eben. Ich würde mir sehr überlegen, ob es nicht doch möglich wäre, ja zu sagen.«
»Ein Ja auf die Frage: >Wollen wir Marion weiter behalten?< Aber es kommt schließlich nicht nur auf mich an!«
»Britta, jetzt versuchst du, die Verantwortung von dir zu schieben. Du weißt nämlich sehr gut, daß es gerade auf dich ankommt. Dein Vater würde dich nie daran hindern, eine gute Tat zu tun.«
»Nein. Du hast recht.«
»So, Britta, jetzt müssen wir aber irgendwas Eßbares zu Mittag zusammenbasteln. Soll ich die Spaghetti auf italienisch zubereiten?«
»Ja, bitte, wenn du so lieb sein willst!«
Bernadette machte eine Dose Tomatenmark auf, und ich holte den Fischrest aus dem Kühlschrank.
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