Braut der Nacht
sie seltsam synchron und seitlich aneinandergedrängt vorwärtsgingen. Nein, nicht aneinandergedrängt. Miteinander verbunden. Siamesische Zwillinge? Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren, als sie vor die Ratstafel traten und sich dann leicht drehten, sodass sich zuerst der eine und dann der andere vor Tatius verbeugen konnten. Dann stellten sie sich neben den Riesen und Elizabeth, und wieder wanderten alle Blicke zur Tür.
Nun trat eine einzelne Frau ein. Die Sammlerin. Ihr Gesicht war voll strenger Züge, als könnte Lächeln sie zerbröckeln lassen. Von ihrer festlichen Maskerade war keine Spur mehr zu sehen. Sie hatte das Haar zu einem strengen, nüchternen Knoten zurückgenommen und ihr goldbesetztes Gewand gegen ein Kleid aus schwerem grauem Stoff getauscht, das ihre Figur weder unterstrich noch verbarg. Zuerst hatte ich geglaubt, sie wäre in den späten Vierzigern– oder war es gewesen, als sie verwandelt wurde–, doch als sie näher kam, erkannte ich, dass ihre glatten, locker vor dem Körper verschränkten Hände und ihr faltenfreies Gesicht einer jüngeren Frau gehörten, vielleicht eher in meinem Alter. Ihre Augen allerdings, braun und ohne Wärme, waren alt.
Sehr alt.
Während sie den Raum mit langsamen, aber sicheren Schritten durchquerte, schlüpften noch einige weitere Personen herein. Sie bewegten sich schnell, die Köpfe gesenkt, und versammelten sich an der Wand gegenüber den nicht zum Rat gehörenden Vampiren von Haven.
Vor der Ratstafel blieb die Sammlerin stehen, mit straffem Rücken und entschlossenem Kinn. Tatius bewegte sich als Erster. Nur ein winziges Nicken, knapper sogar als das des Riesen.
»Ich heiße dich willkommen, Sammlerin«, sagte er, den Fuß immer noch lässig auf den polierten Holztisch gestützt.
»Ich muss gestehen, dass ich mich alles andere als willkommen fühle, Puppenspieler«, entgegnete sie. Ihr Blick wanderte über die Ratsmitglieder, mich auf Tatius’ Schoß, seinen gestiefelten Fuß, dann fuhr sie fort. »Es ist nun schon mehrere Stunden her, seit die Leiche eines Mitglieds meiner Entourage entdeckt wurde, und ich habe immer noch keine Ergebnisse oder eine Entschädigung erhalten.«
»Ich versichere dir, dass meine Leute alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um herauszufinden, wie diese Frau ihren Kopf verloren hat. Wir konnten bei keinem der Befragten, einschließlich dieses Kindes«, er ließ mich auf seinem Knie hüpfen, »das die Leiche entdeckt hat, irgendeine Schuld feststellen. Aber ich habe sie wie verlangt hierhergebracht, damit du sie untersuchen kannst.«
Ich gab mir Mühe, bei dem Wort »untersuchen« nicht zusammenzuzucken, ehrlich, trotzdem lief mir ein Schauer durch den Körper, der meine Schultern zucken ließ. Ich konnte beinahe spüren, wie der Blick der Sammlerin von mir angezogen wurde, doch dann huschte er so schnell wieder fort, wie er mich gestreift hatte.
»Bringt unserem Gast einen bequemen Stuhl«, befahl Tatius, worauf einer der Vampire an der Wand aus dem Zimmer schlüpfte.
Unmittelbar darauf kehrte er mit einem schlichten Stuhl über der Schulter wieder zurück. Er musste schon bereitgestanden haben. War es Gastfreundlichkeit, dass Tatius ihr den Stuhl anbot… oder ein Machtspielchen, dass er sie darauf hatte warten lassen?
Der Vampir stellte den Stuhl in die Mitte des Raums, ohne den Blick ein einziges Mal vom Fußboden zu heben. Dann hastete er zurück an seinen Platz an der Wand und lehnte sich an die von Stoff verhüllten Steine, als könne er aus den Felsen Kraft schöpfen.
Die Sammlerin ließ sich auf dem Stuhl nieder, als wäre er ein vergoldeter Thron. Der Riese trat an ihre Seite, doch selbst seine gewaltige Körpergröße konnte die Präsenz der unscheinbar aussehenden Vampirin nicht in den Schatten stellen. Sie zog alle Aufmerksamkeit auf sich, obwohl sie völlig farblos und unaufdringlich wirkte. Elizabeth kniete sich neben den Riesen und schmiegte ihren kleinen Kopf an sein Bein, und die Zwillinge traten hinter den Stuhl. Die Aufstellung hätte auch von einem Fotografen arrangiert sein können. Ein seltsames Familienporträt, bei dem sich alle Mitglieder um ihre Matriarchin versammelt hatten.
Tatius nahm den Fuß vom Tisch und drückte leicht meine Hüfte, bevor er Anstalten machte, aufzustehen. Ich sprang auf die Füße.
»Zu dem Zeitpunkt, als die Leiche deiner Menschenfrau gefunden wurde«, sagte er zur Sammlerin, »war jeder Vampir in diesem Raum anwesend, aber nur eine davon war nahe
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