Braut der Nacht
lang wehtun.«
In der Hoffnung, Gil würde mir helfen, warf ich einen Blick über die Schulter, doch sie war damit beschäftigt, etwas in ihre Schriftrolle zu schreiben– wahrscheinlich über mich, das Versuchskaninchen. Also streckte ich wieder die Hand aus und kniff fest die Augen zu, als das Messer in mein Fleisch schnitt. Durch die Berührung der silbernen Klinge wurden zuerst mein Finger und dann die ganze Hand gefühllos. Als der Tropfen Blut aus meiner Fingerkuppe auf die Stirn des Schädels fiel, spürte ich Magie in Avins Kreis pulsieren. Ich presste meine taube Hand an die Brust und zog mich in die Gesellschaft eines steinernen Engels zurück.
Avin setzte sich im Schneidersitz vor den Schädel und beugte den Kopf. Seine Stimme erhob sich zu einem tiefen, eintönigen Singsang, die Worte fremdartig, aber gebieterisch. Das Kerzenlicht flackerte. Einmal. Zweimal. Dann hörte der Rauch auf, aus dem Schädel zu quellen, wand und drehte sich mitten in der Luft und strömte zurück in die Augenhöhlen.
Avin öffnete die Augen.
Ein Schrei drang aus dem Schädel.
»Töten!«, kreischte der Schädel überraschend deutlich, dafür, dass er keine Lippen hatte. »Ich werde dich töten! Mich kannst du diesmal nicht umbringen.«
Ich schnappte nach Luft. Diese Stimme kannte ich. »Bryant?«
Zu seinen Lebzeiten war Bryant ein normaler menschlicher Durchschnittstyp gewesen, bis Tyler ihn gezeichnet hatte. Darauf hatte sich der Geist einer Hyäne in seinem Körper eingenistet, seinen Verstand und seine Selbstwahrnehmung gebrochen, und unter der Führung von Tyler hatte Bryant sich in ein bösartiges Raubtier verwandelt. Ein zum Gestaltwandler gewordener Mensch in den Händen eines Psychopathen? Keine gute Kombination.
Missbilligend starrte ich Gil an. »Das ist Bryants Schädel?«
»Selbstverständlich. Der andere Einzelgänger endete ja schließlich als Pfannkuchen auf dem Bürgersteig. Von dem konnte ich nichts mehr retten.«
Der Schädel drehte sich, sodass die mit Rauch gefüllten Augenhöhlen mich anstarrten.
»Monster!«, schrie Bryants Schädel. »Monster! Töte sie!« Dann stieß er ein grauenerregendes Heulen aus. Offensichtlich waren er und die Hyäne auch im Tod noch miteinander verbunden– und noch genauso wahnsinnig. Das brachte mich dazu, mir erneut die Frage zu stellen, was mit meinem Katzen-Selbst geschehen war, nachdem ich zum Vampir wurde.
»Halt die Klappe! Du bist ein sprechender Schädel.« Avin schlug ihm auf die Schädeldecke. »Dieses Ding hier war nicht menschlich. Was habt ihr mich da zurückbringen lassen?«
»Einen wahnsinnig gewordenen Gestaltwandler«, antwortete ich, ohne den wütenden Schädel aus den Augen zu lassen.
Bryants Schädel schrie weiter. Vor ein paar Nächten, als Gil erwähnt hatte, dass sie an einer Möglichkeit arbeitete, wie wir den toten Einzelgänger über seine Komplizen ausfragen konnten, hatte ich gedacht, dass sie Tyler meinte und nicht Bryant. Zwei Einzelgänger waren Amok gelaufen, aber nur einer von ihnen, Tyler, war direkt von mir gezeichnet worden. Ich hatte sie beide aufgehalten, aber das Monster, das ich versehentlich geschaffen hatte, als ich mich mit meinen Krallen verteidigte, war Tyler gewesen, und der hatte wiederum Bryant gezeichnet. Tyler wäre uns weitaus nützlicher gewesen.
Dennoch, die beiden Einzelgänger waren mehrere Monate lang gemeinsam mordend umhergezogen. Bryant könnte etwas Wichtiges wissen.
Wenn der Schädel nur endlich einmal lange genug zu brüllen aufhören würde, damit wir ihn befragen konnten!
»Kannst du ihn nicht zum Schweigen bringen?«, fragte ich und hielt mir die Ohren zu, was mein überempfindliches Gehör nur wenig dämpfte.
Avin schlug den Schädel erneut, doch er schrie weiter. »Ihr habt vergessen zu erwähnen, dass ihr diesen Typen umgebracht habt.«
»Ich dachte nicht, dass das wichtig wäre«, entgegnete Gil, während sie mit den Füßen scharrte. Der Schädel drehte sich zu ihr um, um sie erneut anzuschreien. Sie ignorierte ihn. »Können wir ihm jetzt unsere Fragen stellen?«
Avin zuckte mit den Schultern. »Nur zu! Keine Ahnung allerdings, wie hilfsbereit er sein wird. Geister mögen Leute nicht, von denen sie in die körperlose Welt geschickt wurden.«
»Aber du kannst ihn dazu bringen zu antworten. Ich habe gelesen, dass ein Nekromant imstande sein sollte, einen wild gewordenen Geist zu kontrollieren.«
»Klar kann ich das. Für den entsprechenden Preis.«
»Wir haben aber nichts mehr, was wir
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