Braut der Nacht
Wenn sie einen Rat aus Stadtmeistern zusammenstellte, alle so stark wie Tatius oder noch stärker, dann wäre das eine ziemlich beängstigende Gruppe von Vampiren. Und die Tatsache, dass ihre Worte andeuteten, Tatius wäre verzichtbar? Regelrecht furchterregend.
Ich warf Nathanial einen Blick zu und suchte nach einem Anzeichen dafür, dass ich die Situation richtig interpretierte. Mit seiner emotionalen Maske wirkte er aufmerksam, wenn auch ein wenig distanziert, während er die Geschehnisse beobachtete, aber sein Blick flog kurz zu mir. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, sah er schnell wieder fort.
Ich seufzte. Ist er wütend, weil ich einen Deal mit Tatius eingegangen bin? Beim Mond noch mal! Ich hatte ihm das Leben gerettet. Es war ja nicht so, als hätten wir viele Möglichkeiten gehabt.
Ich zog die Stirn kraus und konzentrierte mich wieder nach vorn. Die Porzellanpuppe, Elizabeth, beobachtete mich, dabei breitete sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als habe sie ein Geheimnis entdeckt. Dann beugte sie den Kopf vor und schmiegte die Wange an das Knie des Riesen. Abwesend strich ihr der Reisende durchs Haar und streichelte ihre offenen Locken.
»Also«, Tatius beugte sich weit genug vor, dass ich spüren konnte, wie sich die Muskeln seiner Brust hart an meinen Rücken drängten. »Soll ich heute Nacht eine Abschiedsfeier für dich ausrichten?«
Die Sammlerin legte die Fingerspitzen aneinander. »Das wäre angemessen. Ich erwarte, mein Gefolge vor Tagesanbruch außerhalb deiner Stadtgrenzen zu haben.« Sie hielt kurz inne und warf einen bedeutsamen Blick über die Schulter. »Aber zuerst möchte ich dir noch das Unterhaltungsprogramm vorführen, das ich vorbereitet habe.«
Sie hob die Hand, worauf eine kleine Gruppe ihrer Leute nach vorn hastete. Sieben Frauen und vier Männer, alle in kunstvolle Kimonos gekleidet, versammelten sich vor Tatius und verneigten sich zu tiefen, förmlichen Verbeugungen. Etwas in mir stufte sie als Nahrung ein, was bedeutete, dass sie menschlich waren, aber sie waren keine größere Versuchung für mich als eine Gazelle für eine satte Löwin. Sobald Tatius ihre Ehrerbietung erwidert hatte, trat die Hälfte von ihnen zur Seite und nahm Musikinstrumente zur Hand; die Männer ergriffen kleine Trommeln, eine Frau nahm ein seltsames Saiteninstrument in die Arme und eine weitere hob eine Bambusflöte an die Lippen.
Die übrigen fünf Frauen stellten sich direkt vor Tatius in einer Reihe auf, immer eine hinter der anderen. Während sie ihre Plätze einnahmen, stieg mir eine Witterung in die Nase, die hier nicht hingehörte, und ich versteifte mich.
Tatius musste die Veränderung gespürt haben. Was?, verlangte seine geistige Stimme, als er sich zu mir drehte, wie um mich zu küssen.
Ich war mir nicht sicher, wie diese ganze übersinnliche Gedankenkommunikation funktionierte, deshalb formte ich die Worte lautlos mit den Lippen: »Nicht menschlich.« Sein Blick flog eine Sekunde lang über meine Schulter zu den Frauen, bevor er wieder zu mir zurückkehrte. Sanft hob er mein Kinn an und drückte mir einen keuschen Kuss auf den Mund. Ich bewegte mich weder, noch zog ich mich zurück– der Kuss gehörte zu Tatius’ Täuschungsmanöver. Ohne eine Bemerkung ließ er mich los, und ich wandte mich wieder dem »Unterhaltungsprogramm« zu.
Einen Augenblick lang glaubte ich, alle Frauen bis auf eine wären wieder zur Wand zurückgegangen. Dann wurde mir klar, dass sie sich so perfekt hintereinander aufgereiht hatten, dass sie aus meinem Blickwinkel alle hinter der ersten verschwanden. Die anderen Ratsmitglieder mussten eine weniger täuschende Ansicht genießen.
»Was ist es, das du für uns vorbereitet hast?«, fragte Tatius.
»Meine neueste Errungenschaft: Akane und ihre Darstellertruppe.« Die Sammlerin hob die Hände und klatschte einmal. »Fangt an.«
Die Trommeln schlugen einen langsamen, zweitaktigen Rhythmus. Auf dem betonten Schlag machte die Frau an der Spitze der Reihe einen gleitenden Schritt nach vorn und schlug klickend ihren Fächer auf. Sie drehte sich, und beim nächsten betonten Schlag machte sie einen weiteren gemessenen Schritt nach rechts. Ihr Fächer klickte. Nein, sie war nicht die Einzige, die sich bewegte. Zwei in Kimonos gekleidete Tänzerinnen traten nach rechts, zwei nach links. Ihre Fächer klickten. Ihre langsamen, bedächtigen Schritte führten sie von der Mittellinie fort und öffneten zwischen den beiden Gruppen einen Spalt, immer nur um
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