Braut von Assisi
alt.
Abwehrend hob er die Hände, um sich zu schützen – und hielt mitten in der Bewegung inne: Chiaras von Alter und Krankheit gezeichneter Körper war verschwunden.
Nun lag Stella vor ihm, nackt und wohlgeformt, mit schlanken, milchweißen Schenkeln und runden Brüsten. Ihr Haar war lang und lockig wie früher, das Gesicht rosig überhaucht. Mit leicht geöffneten Lippen sah sie ihn an, so weich und sehnsuchtsvoll, als flösse ihr Herz vor Liebe über. Begann sich für ihn nun schon die Realität zu verschieben, war sein Verlangen so groß? Erregt erwachte er.
Ich brauche Hilfe, dachte Leo, als sein wie rasend klopfendes Herz sich wieder beruhigt hatte und das Blut aus den Lenden gewichen war. Am besten geistlichen Beistand. Jemanden, dem ich in der Beichte meine inneren Nöte anvertrauen kann.
Doch wie sollte er das anstellen, in diesem fremden Land, dessen Sprache er allenfalls bruchstückhaft verstand?
Fast wütend wusch er sich mit dem Inhalt des bauchigen Wasserkrugs, der dafür allerdings kaum ausreichte, und sehnte sich dabei nach einem ausführlichen Bad. Ein Fluss, der trotz der Sommermonate noch immer genügend Wasser führte, war lediglich ein paar Schritte entfernt, aber er konnte ja kaum am helllichten Tag seine Kutte einfach abstreifen und in den Fluten untertauchen.
Vielleicht würde der Besuch eines Gotteshauses helfen, um den wilden Aufruhr in ihm zu beschwichtigen. Gestern waren sie auf dem Rückweg von Fonte Colombo am Dom von Rieti vorbeigeritten. Er war der heiligen Jungfrau Maria geweiht, wie Stella einer Unterhaltung zwischen Pino und seiner Frau Antonella entnommen hatte. Wer, wenn nicht die Gottesmutter, wusste um all die Nöte und Qualen der Menschen?
Plötzlich war Leo klar, was er zu tun hatte. Er verließ die Herberge, ohne einen Bissen zu sich genommen zu haben, und freute sich, als sein leerer Magen während des eiligen Gehens aufbegehrte und zu knurren begann. Franziskus
hatte unzählige Male gefastet und gelitten, ohne je zu murren – da konnte auch er ohne Weiteres auf sein Essen verzichten.
Rieti war bereits erwacht. Die Läden hatten ihre Türen geöffnet, und aus den kleinen Werkstätten war Klopfen, Hämmern und Sägen zu hören. Frauen liefen mit ihren Körben zum Markt. Pferdekarren lieferten Holzstämme aus den Sabiner Bergen. Leo wich einem lauthals schreienden Melonenverkäufer aus, der die reifen Früchte auf zwei Waagschalen anbot, im Nacken den dicken Querholm, an dem die Schalen aufgehängt waren.
Sich vom quirligen Stadtleben umgeben zu fühlen, tat Leo gut, und dennoch atmete er erst auf, als die Pforte des Doms sich hinter ihm geschlossen hatte. Er platzte mitten in ein Requiem, was ihm einen erneuten Schweißausbruch bescherte, befürchtete er doch, die versammelten Trauernden zu stören. Doch niemand im gut besuchten Dom schien sich um ihn zu scheren, und so kniete er sich ganz hinten in eine Bank.
An den Wänden prangten bunte Fresken mit Szenen aus dem Leben der Gottesmutter, gleich neben Leo die Verkündigung mit einem großen, jugendlichen Erzengel Gabriel und einer zarten, sehr mädchenhaft wirkenden Maria. Sie war nicht blond wie auf den meisten Darstellungen, die ihm bekannt waren, sondern hatte dunkle Locken, die aus dem blauen Schleier hervorblitzten, der ihren schmalen Kopf verhüllte. STELLA MARIS , las er darunter.
Wollte dieser Name ihn denn gar nicht mehr loslassen?
Leo schaute entschlossen zum Altar, wo ein alter, kurzbeiniger Priester im üppig mit Goldfäden bestickten Messgewand das Agnus Dei anstimmte. Erleichtert, Latein zu hören, fiel er laut mit ein. Erst jetzt nahm er die Mitra wahr, die den Kopf des Priesters schmückte. Er
hatte einen Bischof vor sich, Wächter der Kirche und der Gläubigen.
Ein Gedanke, der Leo nicht mehr loslassen wollte, auch nicht, als das Requiem vorüber war und die Kirchgänger sich vor dem Dom zu zerstreuen begannen. Ein korpulenter Mann eilte an ihm vorbei, den Blick gesenkt, und Leo konnte plötzlich gar nicht anders, als ihn ansprechen.
»Il vescovo« , stieß er hervor, über sich selbst erstaunt, weil ihm das richtige Wort für Bischof urplötzlich eingefallen war. »Dove abita?«
Der Blick des Mannes glitt musternd über Leos abgetragene Kutte, doch es war ihm nicht anzusehen, was er wirklich dachte.
»Qui.« Sein ausgestreckter Zeigefinger wies direkt hinter den Dom. »È qui vicino.«
Das war allerdings nah – Leo brauchte sich nur halb um die eigene Achse zu drehen, und schon war er
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