Braut von Assisi
Mönch mein Vater – das kann nicht sein!«
Lorenzo sah sie voller Liebe an. »Ma è vero! Sei mia figlia. Io sono tuo padre!«
Wie betäubt griff sie nach Leos Arm, als suche sie Schutz. »Er lügt! Er muss doch lügen«, rief sie. »Ich habe nicht ihr Gesicht. Ich bin ich – ich!«
»Jedenfalls hast du seine Augen«, sagte Leo. »Und ja, jetzt, wo ich es weiß … Es hätte mir eigentlich schon früher auffallen können. Es gibt wirklich eine Ähnlichkeit zwischen dir und Magdalena. Aber ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen, und da war sie bereits tot.«
Leo sagte die Wahrheit, das wurde Stella in diesem Augenblick klar, und der Mönch, ihr unbekannter Vater, auch. All die Jahre des Wartens, Bangens und Hoffens – und jetzt das! Plötzlich hatte sie das Gefühl, der steinige Boden tue sich auf und weigere sich, sie weiterhin zu tragen. Seit sie denken konnte, hatte sie sich nach der Wahrheit gesehnt, aber niemals geahnt, wie schmerzhaft sie sein würde. Langsam, wie Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch dichtes Geäst bahnen müssen, kam die Erkenntnis zu ihr.
Deshalb all die Heimlichkeiten im Haus Lucarelli! Sätze,
die niemals beendet wurden. Blicke, die sie nicht hatte deuten können. Versperrte Zimmer, um sie in Unwissenheit zu halten. Ihre Zieheltern hatten gewusst, wer sie war, und es sie auf unterschiedliche Weise spüren lassen. Vasco mit Zurückhaltung, Simonetta mit kaum verhohlener Abneigung. Und hatte nicht sogar ihre heiß geliebte Amme Marta manchmal seltsame Andeutungen fallen lassen, die sie nicht verstanden hatte?
Was hatte man den Lucarellis angeboten, damit sie den unerwünschten Säugling bei sich aufnahmen? Geld? Vergebung aller Sünden? Oder hatten sie einfach nur aus Nächstenliebe gehandelt? Bei der Erinnerung an Simonettas Boshaftigkeiten, die ihr stets zu schaffen gemacht hatten, musste Stella sich unwillkürlich schütteln. Sie war die Frucht einer streng verbotenen Liebe, das hatte sie inzwischen begriffen. Aber war das zwischen ihren Eltern überhaupt Liebe gewesen? Oder war es lediglich eine Mischung aus Wollust und Sünde, hervorgerufen durch ein frommes, allzu keusches Dasein?
Außer ihrer Existenz musste es doch irgendetwas geben, das bezeugte, was damals wirklich zwischen den beiden gewesen war.
Sie wandte sich Lorenzo zu und begann halblaut mit ihm zu reden. Er antwortete sanft und geduldig, sichtlich erfreut, dass sie mit ihm sprach. Nur seine Hände zuckten merkwürdig dabei, als könne er sie kaum im Zaum halten.
»Ich habe ihn nach Zeugen oder Beweisen gefragt«, erklärte Stella Leo. »Doch es gibt weder das eine noch das andere, da ja alles von Anfang an ganz heimlich bleiben musste. Er war damals Mönch im Sacro Convento und der Beichtvater des Klosters San Damiano. Dort hat er Magdalena kennengelernt und sich sofort in sie verliebt. Ihr erging es nicht anders. Ihren ›Engel‹ hat sie ihn genannt, obwohl
er sich stets dagegen gewehrt hat, weil er es doch war, der sie angebetet und vergöttert hat. Sie sind dann gemeinsam geflohen und für eine Weile in einer Einsiedelei untergetaucht. Doch sie hatten keine Chance auf ein gemeinsames neues Leben. Das alte hat sie viel zu schnell wieder eingeholt.«
Lorenzos Blicke hingen an Stella, während sie für Leo übersetzte, und er nickte immer wieder, obwohl er die deutschen Worte ja nicht verstehen konnte.
Plötzlich begann er zu lächeln. »Fra Stefano« , rief er. »Domandate a Stefano, perchè in quel tempo siamo stati a Greccio!«
»Bruder Stefano kann uns leider nichts mehr dazu sagen«, erwiderte Leo ernst. »Denn er wurde brutal ermordet. Nicht anders als nach ihm unsere Brüder Sebastiano und Andrea. Es gibt einen Mörder, der es offenbar auf alle Einsiedler des heiligen Tals abgesehen hat. Weshalb, Lorenzo? Und was hat diese Karte damit zu tun?« Er hielt ihm die Blutkarte hin.
Lorenzo begann zu stammeln.
»Er sagt, Magdalena habe sterben müssen, weil er ein Verräter sei und den Eid gebrochen habe, den er einst geschworen hat«, übersetzte Stella. »Damit sei er ihr Mörder – kein anderer als er habe meine Mutter umgebracht.«
»Das ist Unsinn.« Leos Stimme blieb ruhig. »Lorenzo ist kein Mörder. Aber er schwebt in Lebensgefahr, das muss er wissen. Frag ihn noch einmal nach der Karte! Vielleicht kommen wir so ein Stück weiter. Oder will er vielleicht der Nächste sein?«
Lorenzo schien sich innerlich einen Ruck zu geben. Wieder ruhten seine Augen auf Stella.
»Die Karte hat er noch nie
Weitere Kostenlose Bücher