Braut von Assisi
sie hatte offenbar ganze Arbeit geleistet.
Was sich auf dem Rost krümmte, war ein grauschwarzes,
bis zur Unkenntlichkeit verbranntes Etwas, das kaum noch Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen besaß. Die Haut ein Panzer aus Leder, das Gesicht unkenntlich. Trotzdem wussten die beiden sofort, wen sie vor sich hatten.
»Bruder Andrea!« Leos Stimme zitterte, als er die Küche betrat. Stella folgte ihm zögernd. Drinnen bückte Leo sich nach dem hölzernen Rosenkranz, der vor dem Rost lag und dem ähnelte, den Leo an seinem Herzen trug. War er im Kampf herausgefallen? Oder hatten sie ihn Andrea gewaltsam abgenommen? Welch schreckliche Szenen mochten sich hier abgespielt haben, bevor der Eremit auf so grausame Weise sterben musste!
»Sie haben ihn geröstet wie ein Stück Fleisch.« Stella schüttelte sich vor Abscheu. »Wer dazu fähig ist …«
»Warte!« Leo bückte sich abermals. Neben der Tür lag ein Fetzen angekohltes Pergament.
Er hob es auf, lief ans Licht, um besser sehen zu können.
»Dieses Mal waren sie schneller«, sagte er und ließ es enttäuscht wieder sinken. »Außer einer Art Bogen ist nichts mehr darauf zu erkennen.«
Stellas Gesicht war tränennass, aber sie bemühte sich sichtlich, die Fassung zu bewahren.
»Dieser Bogen könnte auch ein C sein«, sagte sie leise.
»Der Buchstabe C?« Leo runzelte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte, da täuschst du dich. Das ist nichts weiter als eine falsche Spur, mit der das Feuer uns verhöhnt.« Er sah sich nach allen Seiten um. »Wir dürfen jetzt keinen Fehler begehen. Vielleicht sind die Mörder noch ganz in der Nähe.«
Stella schien wie in Trance. »Ich weiß sehr wohl, welchen Heiligen man auf dem Rost zu Tode gefoltert hat: San Lorenzo, den Erzdiakon von Rom. Simonetta hat Ilaria
und mir wiederholt von seinem Martyrium erzählt. Sein Mut und seine Durchhaltekraft haben sie offenbar sehr beeindruckt. Lorenzo war tapfer bis zum Schluss und hat seinen Peinigern sogar vergeben, bevor er gestorben ist.« Sie spähte zu dem Toten.
»Ob Padre Andrea sehr leiden musste?«, sagte sie. »Ich habe große Angst vor Feuer. Bei lebendigem Leibe zu verbrennen wäre für mich das Allerschrecklichste.«
»Lorenzo!« Leo starrte sie an. »Der Bruder in Poggio Bustone trägt diesen Namen!«
Stella war schon an der Tür. »Und wenn wir wieder zu spät kommen?«, fragte sie.
»Das dürfen wir nicht!«, rief Leo. »Nicht noch ein Mal.« Er steckte den angekohlten Fetzen zu seinen anderen Schätzen. »Leite uns, heiliger Franziskus!«, betete er. »Beschütze uns, und lass nicht zu, dass das Böse triumphiert!«
Jetzt, im äußersten Norden des heiligen Tales, regierten nur noch Wald und Fels. War Stella Kloster Greccio schon wie ein einsamer Adlerhorst erschienen, so übertraf Poggio Bustone alle ihre Vorstellungen von Abgeschiedenheit. Das gleichnamige Dorf, kaum mehr als ein größerer Weiler aus grauen und braunen Steinhäusern, schien am Berg wie angewachsen. Nur ein alter Mann, der seine Ziegen gebückt nach Hause trieb, begegnete ihnen, als sie es durchritten.
Am Dorfende wand der schmale Weg sich in östlicher Richtung weiter nach oben, bis sie eine tiefe, waldige Schlucht empfing. Noch einmal ging es bergauf, und Fidelis war am Ende ihrer Kräfte, als sie endlich angelangten. Sie würden die treue Stute erst einmal gründlich ausruhen
lassen müssen, bevor sie sich wieder auf den Weg machen konnten.
Während die Sonne hinter dem Berg unterging, waren die Stille und Einsamkeit der Einsiedelei so überwältigend, dass Stella kaum noch sprechen konnte. Ein paar einfache Holzhütten schmiegten sich an den Fels, als erwarteten sie Schutz von ihm. Ein winziges Kirchlein mit Glockenturm, das weiß getüncht war, darüber die Eingänge zu zahlreichen Grotten, die tief in den Berg führten. Von fern hörte man das Rauschen eines Baches.
Leo stieg ab. »Franziskus hat Höhlen besonders geliebt«, sagte er, als könnte er Stellas Gedanken lesen. »Für ihn waren sie ein Zugang ins Innere, zu einer Frömmigkeit, bei der er keine Störung ertragen wollte. Nirgendwo sonst hat er sich so geschützt und geborgen gefühlt. Beinahe wie im Mutterleib. Jedenfalls stelle ich mir das so vor. Ich hoffe, Francesco nimmt es mir nicht übel.«
Er griff in die Satteltasche und zog zu Stellas Überraschung einen Dolch heraus, den er rasch unter seiner Kutte verschwinden ließ. Beinahe hätte Stella einen Überraschungslaut ausgestoßen. Ihr Begleiter
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